Israels Parlamentspräsident in Wien

Der Vorsitzende des israelischen Parlaments, Yuli Edelstein, trifft heute Abend zu einem dreitägigen Besuch in Wien ein. Er ist der erste offizielle ausländische Gast von Doris Bures als Nationalratspräsidentin. Der jetzt 56-jährige Edelstein war in der Sowjetunion als Dissident verfolgt. In Israel war er zunächst Abgeordneter einer Einwandererpartei. Heute gehört Edelstein dem rechtskonservativen Likud ein, der ihn nach den Wahlen 2013 ins Amt des Knesset-Vorsitzenden geschickt hat.

Mittagsjournal, 29.9.2014

Von den Sowjets war Yuli Edelstein zu Lagerhaft in Sibirien verurteilt worden, wegen seines Einsatzes für die freie Ausreise von Juden nach Israel. Als er dann 1987 endlich selbst die Sowjetunion verlassen konnte, war Wien für ein Wochenende die Zwischenstation. Jetzt kommt er wieder nach Wien, als Vorsitzender des Parlaments seiner neuen Heimat – und nach einem schrecklichen Sommer. Der Krieg mit der Hamas wirkt nach. Die Führer der Islamisten haben trotz der schweren Verluste und Zerstörungen eine Siegerpose eingenommen – in Israel waren viele mit dem Ausgang nicht zufrieden. Was ist Edelsteins Bilanz?

„Ich bin irgendwie verwundert über die Reaktion der Hamas. Die Hamas liegt blutend auf dem Boden wie ein Boxer nach einem k. o., mit Toten in ihrem Oberkommando - und trotzdem, vom Boden, rufen sie: das war unser großer Sieg. Und hier in Israel, mit all unseren Erfolgen, streiten wir darüber, ob es ein Sieg war. Ich denke es war ein klarer Sieg – keinem einzigen Land auf der Welt, auch keiner Supermacht, ist es je gelungen, ein Terrororganisation völlig zu zerschlagen, einen Krieg zu gewinnen wie bei einem Krieg zwischen Staaten“.

Manche halten Israel die große Zahl an zivilen Opfern im Gasastreifen vor. Edelstein soll auch den österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer treffen, der zuletzt von einer „extremen Unverhältnismäßigkeit“ des Militäreinsatzes gesprochen hat. Die Israelis beschuldigen umgekehrt die Hamas, den Krieg vorsätzlich unter die Zivilbevölkerung getragen zu haben.

„Keiner zweifelt wohl daran, dass militärisch gesehen, wenn wir da nicht zurückhaltend gewesen wären, dann hätten wir einfach gehandelt wie viele andere Armeen beim Kampf im urbanen Gebiet – die gesagt haben, ganz einfach: zuerst säuberst du das urbane Gebiet, und dann beginnt der Kampf. Das war nie Israels Einstellung. Wir haben eigene Soldaten verloren, weil wir sehr zurückhaltend waren. Aber wenn Feuer aus den UN-Einrichtungen kommt, aus Schulen, aus Spitälern, dann ist das n o c h schwieriger. Und all unseren europäischen Kollegen, die keinerlei Erfahrung haben mit der Bekämpfung von Terror dieser Art, würde ich empfehlen: denkt zuerst darüber nach, was ihr in dieser Situation getan hättet, und dann kritisiert uns.“

In der arabischen Welt gibt es jetzt Chaos und Gewalt. Ist das für Israel gefährlich, oder ist Israel nur Zuschauer, weil die Nachbarn, vor Allem Syrien, mit sich selbst beschäftigt sind?

„Dieser Konflikt in Syrien, wo jeder gegen jeden kämpft, ist sehr gefährlich, denn das passiert gleich neben uns. Aber andrerseits stehen wir jetzt wenigstens nicht irgendeiner regulären Armee gegenüber, die imstande wäre, unser Land anzugreifen. Doch die Situation in der ganzen Region, speziell an unseren Grenzen, ist beunruhigend, und wenn ISIS, Gott behüte, näher an unsere Grenze herankäme, wären sie in einer Position, wo sie uns in diesen Konflikt hineinziehen könnten. Das wäre schrecklich, und wir wünschen der internationalen Koalition jeden Erfolg bei ihrem Kampf.“

Im Parlament in Wien wird der Knesset-Vorsitzende an einer Ehrung für Österreicher teilnehmen, die in der Nazizeit Juden gerettet haben. Für wie gefährlich hält er die jüngsten antisemitischen Erscheinungen in Europa?

„Die gute Nachricht ist, dass wir von allen Präsidenten, Regierungschefs, Parlamenten unterstützt werden. Aber wir müssen uns immer vor Augen halten, dass der Holocaust nicht mit Lagern und Gaskammern begonnen hat. Er begann mit Schlagzeilen, wie Sie sie heute in europäischen Zeitungen lesen können: ein Stein ins Fenster eines Rabbiners geworfen, ein Kind beim Verlassen einer jüdischen Schule angegriffen. Also wir sollten aufpassen. Ich sage nicht, dass wir vor einem neuen Holocaust stehen. Aber wir können nicht in einer Situation leben, wo die Meldungen in europäischen Zeitungen jenen der 30er Jahre sehr ähnlich sind.“

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