Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt

Silicon Valley

Der deutsche Medien-Manager Christoph Keese hat sich im Zentrum der IT-Branche im US-amerikanischen Bundesstaat Kalifornien umgesehen und ein gut lesbares Buch vorgelegt.

Jede Epoche hat ihre Zentren. Das Zentrum der IT-Branche liegt im Silicon Valley in US-amerikanischen Bundesstaat Kalifornien. Vor einem Jahr machte eine Reise der führenden Köpfe der Axel Springer AG Schlagzeilen: Sie verbrachten mehrere Monate in Palo Alto, jenem Ort, an dem auch zahlreiche Netz-Firmen ihre Zelten aufgeschlagen haben. Ziel des Auslandseinsatzes war es, neue unternehmerische Ideen für den digitalen Mediensektor zu entwickeln. Ein Ergebnis dieser Reise ist das Buch "Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt". Autor ist Christoph Keese, Executive Vice President der Springer AG und früherer Chefredakteur der "Welt am Sonntag".

Wo Kapuzenpulli und Flip-Flops dominieren

Es sei faszinierend und zum Fürchten zugleich, findet Christoph Keese: das Silicon Valley, jener Landstrich südlich der kalifornischen Metropole San Francisco, in dem die meisten IT-Giganten ihren Sitz haben. Aus der Luft erinnert ihn Palo Alto, die Hauptstadt der boomenden Internetwirtschaft, eher an eine Kleingartenkolonie, denn an das Weltzentrum der High-Tech-Industrie. Understatement erlebt Keese auch in den Kathedralen des digitalen Zeitalters, in den Firmensitzen von Google, Facebook oder Yahoo. Statt Businessanzug dominieren Kapuzenpulli und Flip-Flops. Informell ist auch das Verhältnis, das untereinander gepflegt wird: der Gedankenaustausch gilt als der Motor des Erfolgs.

Ganz anders als in Europa, wo Kommunikation mit der Konkurrenz noch als schädlich gelte, bedauert Christoph Keese. Wer weiß, es könnten einem ja die großen Ideen gestohlen werden, bevor man sie selbst zu Geld gemacht hat. Diese Zurückhaltung tut einer Branche, in der es auf Schnelligkeit ankommt, nicht gut, sagt der Autor. Die großen Innovationen kommen heute fast ausschließlich aus dem Ideen-Labor Silicon Valley - und zu dessen Regeln gehört eben auch, dass ein Produkt noch unfertig auf den Markt kommen darf.

Begonnen in einer Garage

Als Geburtsort des Silicon Valley gilt übrigens eine Garage in Palo Alto. In den späten 1930er Jahren werkten hier zwei Absolventen der nahen Stanford University an ihren ersten Elektronik-Spielereien: David Packard und William Hewlett, die Stammväter des späteren IT-Riesen HP. Auch die Gründer von Cisco, Google und YouTube lernten ihr Handwerk in Stanford. Die Universität gilt als eigentliche Keimzelle der IT-Branche und pflegt auch enge Beziehungen zu den Geldgebern im Silicon Valley. Eine mehr als fruchtbare Zusammenarbeit, findet Christoph Keese.

Lediglich sechs Wochen dauert im Schnitt die Entwicklungszeit für eine App, eine Anwendungssoftware. Da können es die Risiko-Geldgeber auch verschmerzen, dass die Floprate im Silicon Valley etwa 90 Prozent beträgt. Nur jedes zehnte Start-up-Unternehmen kann sich auch erfolgreich am Markt behaupten. Undenkbar für Europa, wo oft jahrelang in ein Produkt investiert wird, bevor es sich auf dem Markt beweisen muss.

"Nur wer sich anpasst, kann überleben"

Auch im Silicon Valley geht es nicht nur friedlich zu. "Disruptive Innovation" lautet die Zauberformel, mit der man in der Branche ständig auf der Suche nach Schwachpunkten bestehender Produkte ist. Märkte werden attackiert, um Marktführer vom Thron zu stoßen oder ganze Industriezweige arbeitslos zu machen. Christoph Keese nennt ein Beispiel aus der Musikindustrie.

Überlebenschancen räumt der Autor nur jenen ein, die bereit sind, sich den neuen Trends anzupassen. Und da nimmt Christoph Keese die eigene Branche nicht aus: Das Blatt wendet sich von Print zu Online - eine disruptive Innovation, die nur wenige Printmedien überleben werden.

Die Exkursion ins Silicon Valley sollte Keeses Arbeitgeber, der Axel Springer AG, auch Antworten geben, wie sich der Großverlag im Verdrängungswettkampf behaupten kann. Mit der Beteiligung am Onlinemagazin ozy.com hat sich das Medienhaus in der Folge bereits ein erstes digitales Standbein im Silicon Valley gesichert. Geplant ist auch eine europäische Version des amerikanischen Onlinemagazins "Politico". Für die Zukunft des Qualitätsjournalismus sieht Christoph Keese auch in der digitalen Ära keine Gefahr - im Gegenteil.

Digitale Welt als Chance

Christoph Keeses Text ist ein Plädoyer dafür, die digitale Welt als Chance zu verstehen, nicht nur als Bedrohung. Obwohl es im Buch nicht an erschreckenden Szenarien mangelt: etwa an der Vorstellung, dass zukünftige Internet-Monopolisten zu unbeherrschbaren Daten-Kraken heranwachsen. Aber, so Keese, nicht das Internet ist der Feind, sondern unsere Bequemlichkeit. Denn wir sind es, die die Systeme mit unseren Informationen füttern. "Silicon Valley", das gut lesbare Buch von Christoph Keese, kann uns ein wenig Vorsicht lehren.

Service

Christoph Keese, "Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt.", Knaus-Verlag

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