Randnotiz von Alois Schörghuber

Anonymverfügung

"48 Euro!" Würde mein Vater empört rufen: "Weißt Du wie viel das in Schilling ist?"

Strafzettel an Windschutzscheibe

APA, HOCHMUTH

Vermutlich haben schon viele Autobesitzer und –Besitzerinnen mit ähnlichen Schreiben Bekanntschaft gemacht. Und es geht hier nicht um einen Fall von Ungerechtigkeit oder Willkür. Das beanstandete Vergehen ist tatsächlich begangen worden. Man bezahlt und die Sache ist vergessen.

"48 Euro!"
Würde mein Vater empört rufen:
"Weißt Du wie viel das in Schilling ist?"

Würde, weil er es wegen seiner fortgeschrittenen Demenz nicht mehr kann, weil Schilling und Euro in seinem Kopf durcheinander purzeln, wie Erd- und Gesteinsmassen bei einem Bergrutsch.

Umgerechnet betragen die 48 Euro laut online-rechner.at übrigens 660 Schilling und 49 Groschen. Dieser Wechselkurs wurde am 1. Jänner 1999 fixiert.

Seit bei meinem Vater die Demenz ständig fortschreitet, versucht er die Ordnung in seinem Kopf mit Hilfe von alten Bildern, Dokumenten, Briefen und losen Zetteln wieder herzustellen. Vergeblich. Manchmal schaue ich diese Sachen mit ihm gemeinsam durch und in hellen Momenten tauchen vage Erinnerungsfetzen auf. "Den oder die kenne ich", sagt er dann, aber die Namen fallen ihm dann doch nicht ein.

Bei so einer Gelegenheit fiel mir ein kleiner vergilbter Zettel in die Hand:

Auto hatte mein Vater damals noch keines und er kann mir nicht mehr sagen, wofür diese Strafe verhängt wurde. Aber in meinem Kopf entstehen immer wieder Geschichten, die mit diesem Strafzettel zusammen hängen. Vermutlich war er mit dem Rad unterwegs. Wurde er bestraft weil er freihändig fuhr, gut gelaunt und übermütig jauchzend, stolz darauf einen Drahtesel zu besitzen? Hatte er ein Verbotsschild nicht beachtet oder irgendeinen anderen Verstoß gegen die Verkehrsordnung begangen, vielleicht im Ortsverkehr an einer unübersichtlichen Stelle ein Pferdefuhrwerk überholt?

Ich werde es nie erfahren. Ich werde auch nicht einschätzen können, wie schmerzlich für ihn im Jahr 1953 die Strafe von 2 Schilling war. Laut "Schilling in Euro-Umrechnungstabelle" entspricht das heute übrigens 15 Cent.

Das günstigste Rad-Modell der Marke "Steyr Puch" war damals das Tourenrad ohne Lichtanlage um 780 Schilling, das begehrte Herren-Sportrad Modell S60 mit Lichtanlage kostete 1410 Schilling. Das durchschnittliche Netto-Monatseinkommen eines vollbeschäftigten Arbeitsnehmers im Jahr 1953 betrug laut einem Bericht des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung 1.235 Schilling.

Liefert man sich der Schilling-Nostalgie aus, könnte man ganz schön sentimental werden. Eine simple Verkehrsstrafe kann also heute bis zu 330 Mal so viel ausmachen wie im Jahr 1953! Daraus zu schließen, dass diese Dreihundertdreißig-Vervielfachung auch für andere Sachen gilt ist natürlich fatal und irreführend. Geld wird im Laufe seines Bestehens immer wieder einmal abgewertet, aufgewertet, umgewertet oder es verliert seinen Wert.

Als verlässlicher Faktor für die Einschätzung der jeweiligen Kaufkraft gilt in Österreich laut einer Publikation der Industriellen-Vereinigung der Mannerschnitten Index. Die Zehnerpackung Mannerschnitten ist seit ihrer Markteinführung 1898 unverändert. Der Index zeigt wie viele Packungen ein durchschnittlicher Arbeiter sich für seinen Stundenlohn kaufen konnte. Im Jahr 1953 waren das drei Packungen im Jahr 2010 waren es 24, mit Sozialtransfers 33.

Wenn dementer Vater könnte, würde er vermutlich fragen, wie viele Mannerschnitten das Strafmandat im Jahr 1953 ausmachte?