Ein Essay von Carlo Strenger
Zivilisierte Verachtung
"Die freie Welt hat das Recht und die Pflicht, ihre Grundwerte zu verteidigen, von wem auch immer sie angegriffen wird - von fundamentalistischen Christen, orthodoxen Juden oder fanatischen Moslems" lautet die Grundthese von Carlo Strengers brillantem Essay.
8. April 2017, 21:58
Kirstin Breitenfellner
Carlo Strenger, gebürtiger Schweizer und säkularer Jude, lehrt Psychologie und Philosophie an der Universität von Tel Aviv und kennt die Probleme, über die er schreibt, aus nächster Nähe. Ganz im Gegensatz zu manchen Missionaren der von ihm als Ideologie bezeichneten politischen Korrektheit, die Diagnosen via Fernsehen oder, noch schlimmer, via Wunschdenken stellen.
Der Text mit dem Untertitel "Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit" entstand im Spätsommer 2014, konnte aber vor seiner Fertigstellung um aktuelle Ereignisse wie das Attentat auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" ergänzt werden. Für genau solche Ernstfälle habe er den Essay geschrieben, meint Strenger in der Einleitung, und widmet ihn dem Andenken der Pariser Opfer im Januar diesen Jahres.
Service
Carlo Strenger, "Zivilisierte Verachtung - Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit", Suhrkamp Verlag
Zitat
Die Frage im Zentrum dieses Essays lautet: Wie kann der Westen die Stärken des eigenen Wertesystems herausarbeiten und vertreten, ohne seine Ideale in diesem Konflikt zu verraten?
Dazu schlägt Carlo Strenger eine Rückbesinnung auf die Werte der Aufklärung vor, auf ihren Geist der Kritik, das Beharren auf individueller Autonomie und die Ablehnung jeder nicht legitimierten Autorität.
Zitat
Wenn andere Kulturen nicht kritisiert werden dürfen, kann man die eigene nicht verteidigen. Der Glaube, die politische Korrektheit garantiere das harmonische Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen, hat sich als Illusion entpuppt.