Türkei über Papst verärgert

Die türkische Regierung reagiert scharf auf die jüngsten Aussagen von Papst Franziskus über den Massenmord an den Armeniern von vor einhundert Jahren. Der Papst hat den Tod von bis zu 1,5 Millionen Armeniern gestern in Rom als ersten Völkermord im 20. Jahrhundert bezeichnet.

Mittagsjournal, 13.4.2015

Aus Istanbul,

Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des osmanischen Reichs leugnet den Begriff Völkermord für das Massensterben der Armenier bis heute. Premierminister Davutoglu kritisiert die Äußerungen des Papstes als unangemessen und uninformiert. Die Aussagen würden den Rassismus in Europa anstacheln, sagt der türkische Regierungschef.

Was für namhafte Historiker und Genozidforscher weltweit längst geklärt ist, das wird in der Türkei weiterhin bestritten. Die Vertreibung und Ermordung des armenischen Volkes im Osmanischen Reich vor einhundert Jahren sei nicht zentral geplant gewesen, die weithin anerkannten Opferzahlen seien weit überhöht, die Tragödie sei eine von vielen in den Wirren des ersten Weltkriegs gewesen und gelitten hätten andere Volksgruppen auch. Kurz: im osmanischen Reich habe kein Völkermord an den Armeniern stattgefunden. Wer anderes behauptet, der kann in der Türkei weiterhin vor Gericht gestellt werden.

Dass Papst Franziskus gestern bei einer Messe in Rom anlässlich des orthodoxen Osterfestes, den Massenmord an Armeniern als eine Tragödie bezeichnet, die – so der Papst - allgemein als Genozid angesehen wird. Das hat in der Türkei heftige Reaktionen ausgelöst. Der Botschafter des Vatikans wurde ins türkische Außenministerium bestellt, der türkische Botschafter im Vatikan nach Ankara zurückbeordert. Premierminister Davutoglu wirft dem Papst mangelndes Geschichtsverständnis vor und er kritisiert, dass solche Äußerungen den in Europa ohnehin wachsenden Rassismus nähren würden.

„Religiöse Führer sollten kein Klima des Konflikts und des Hasses schüren. Sie sollten sich für Frieden und gegen Islamophobie einsetzen. Trotzdem hat der Papst dieses Statement abgegeben. Wahrscheinlich weil er im Einfluss bestimmter Gruppen steht oder uninformiert in geschichtlichen Belangen ist. Das Statement trägt zum Rassismus bei, der in Europa zunimmt. Es beschuldigt Muslime und Türken eines kollektiven Verbrechens. „

Mit großem Aufwand, mit weltweitem Lobbying versucht die Türkei seit Jahren die Anerkennung des Massenmords an den Armenier als Genozid zu verhindern. Oft mit Erfolg. Länder wie Deutschland oder die USA wollen den wichtigen Nato-Verbündeten nicht vor den Kopf stoßen und sind - bisher zumindest - bei der Wortwahl vorsichtig. Vor allem jetzt, wenige Tage bevor die Armenier offiziell den 100. Jahrestag des Völkermordes begehen, hat die türkische Diplomatie wieder alle Hebel in Bewegung gesetzt. In türkischen Geschichtsbüchern wird Schülern immer noch verschwiegen, was in ihrem Land den Armeniern vor 100 Jahren angetan wurde. Und auch das beschlagnahmte Hab und Gut der Armenier wurde nur in wenigen Fällen zurückerstattet. Allein in Istanbul handelt es sich um fast 700 Objekte erzählt der Historiker Mehmet Polatel im ORF-Interview.

„Der türkische Staat müsste den Genozid an den Armeniern anerkennen und Abfindungen zahlen. Es geht nicht nur um Objekte in Istanbul, sondern um fast 4000 Kirchen und Klöster in ganz Anatolien. Sie müssten restauriert werden, damit wenigstens die Spuren der damaligen armenischen Gemeinde wieder sichtbar gemacht werden.

Der türkische Präsident Tayyip Erdogan hat zwar im vergangenen Jahr das Leid der Armenier gewürdigt. Eine offizielle Entschuldigung war dies aber nicht. Jüngst hat Erdogan dann wieder die armenische Diaspora beschuldigt, Unwahrheiten zu verbreiten, um den türkischen Staat zu schädigen. In der türkischen Zivilgesellschaft hat die Debatte um die dunkle Vergangenheit allerdings längst begonnen. Ein Eingeständnis, dass sich damals im niedergehenden osmanischen Reich, auf türkischem Boden, der erste Genozid des 20. Jahrhunderts ereignet hat. Das geht den meisten hier aber nach wie vor zu weit.