Kurzessay zu Johannes 15, 9 – 17
Das Evangelium vom 6. Sonntag der Osterzeit, das an diesem Sonntag in der römischen Liturgie verkündet wird, ist ein Abschnitt aus den sogenannten Abschiedsreden Jesu angesichts seines nahen Todes.
8. April 2017, 21:58
Aber auch Vorbereitung auf die neue Art der Gemeinschaft mit ihm in der Zeit nach Ostern, in der – wie es heißt- „Zeit der Kirche“. Das zentrale Wort dieses Textes ist die LIEBE. Die Liebe ist ein Geschenk Gottes, sie schenkt Freude und stiftet Freundschaft, und sie wird konkret in der Treue zu den Geboten.
Worte, wie: Liebe, Freundschaft, Treue, Gebote klingen so abgegriffen, vielleicht auch „fromm“ oder sogar fremd, dass sie gar nicht mehr gehört oder überhaupt nicht mehr verstanden werden können. Fast auf den heutigen Tag genau ist vor 70 Jahren der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen, Wunden, die damals geschlagen wurden, sind noch immer nicht verheilt. Vergessen, verdrängen, leugnen – all das würde mich zu einem geschichts- und gesichtslosen Menschen machen. Die Orte der Konzentrationslager sind auch heute noch für mich ein unüberhörbarer Aufschrei des Hasses und der Unmenschlichkeit, ein Aufschrei der Grausamkeit, zu der der Mensch immer noch fähig ist. Was damals an Juden, Christen, religiösen Minderheiten, Volksgruppen, Andersdenkenden und Anderslebenden an Verbrechen angerichtet wurde, ereignet sich heute, vielleicht noch raffinierter, überall in dieser konkreten Welt. Zu viele Menschen müssen im Keller ihres Daseins leben! Nicht verschuldet, nicht, weil sie etwa die Gebote Gottes nicht halten, nicht, weil sie die Liebe Gottes verweigern, sondern weil sie nicht so privilegiert wie ich leben und existieren dürfen.
Ich muss ehrlich gestehen, es fällt mir nicht leicht, dieses Trostwort Jesu unkritisch anzunehmen. Zu groß ist das Leid dieser Welt, zu arm sind die wirklich Armen, zu laut die hochtechnisierten Waffen, zu heimatlos Millionen von Menschen, zu zukunftsfremd sind die Lebensentwürfe Vieler, sogar unzähliger Kinder, deren Zukunft ausradiert ist, bevor sie überhaupt begonnen hat.
Liebt Gott mich wirklich? Kann ich überhaupt in seiner Liebe bleiben? Wie soll das Gebot: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe“ von mir gelebt werden können und was soll die Forderung, Liebe ist dann wirklich, wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt? Ehrlich gestanden, dieses Evangelium gibt mir mehr Fragen auf und lässt mich vor schnellen Antworten zurückschrecken. Ob ich das, was mit diesen großen Worten vielleicht gemeint ist, einmal in meinem Leben werde verstehen können? Ich weiß es noch nicht, ich weigere mich auch, das alles so leicht zu begreifen.
Ich kann nur erahnen, dass Liebe zum Leben und zur Lebendigkeit anstiften und den anderen zu seinem wahren Mensch-Sein befreien möchte. Liebe hofft und vertraut, lässt los und birgt, schenkt her und lässt sich beschenken. Liebe liebt nicht, um etwas zurückzubekommen, um selbst besser dazustehen, um etwas zu erreichen. Sie verführt und manipuliert nicht, sie gebraucht und verzweckt nicht. Sie fesselt nicht, sondern macht frei. Wo Liebe an Forderungen und Erwartungen geknüpft wird, muss sie scheitern. Wer wirklich liebt, kommt nicht unverletzt davon, - der leidet und erleidet.
Ich habe auf all das noch keine Antwort, - vielleicht werde ich nie eine haben. Aber in mir ist die Hoffnung, dass dieser liebende Gott mit mir grenzenlose Geduld hat und mich für diese größere Liebe und für die echte Freundschaft befähigt. Und wenn Gott mit mir Geduld hat, wie sollte ich dann mit den Menschen um mich herum, mit dieser Welt und mit mir selbst, keine Geduld haben?