Nord-Syrien: IS unter Druck

Im Norden Syriens geraten die Extremisten des sogenannten Islamischen Staats unter Druck. Kurdische Milizen und andere syrische Oppositionskräfte haben den IS nach heftigen Kämpfen aus der Grenzstadt Tal Abyad vertrieben. Dort hatten sich seit Tagen tausende Menschen über die Grenze in die Türkei in Sicherheit gebracht. Die Kurdenmilizen kontrollieren jetzt wieder größere Teile entlang der Grenze im Norden Syriens. Doch ob der IS dort wirklich nachhaltig geschwächt ist, das bleibt offen.

Mittagsjournal, 17.6.2015

Aus der Türkei,

Sie sind körperlich am Ende, aber endlich in Sicherheit. Mehr als 20.000 Menschen aus der syrischen Grenzstadt Tal Abyad und den umliegenden Dörfern sind seit Monatsbeginn in die Türkei geflohen. Viele nach Akcakale, der Stadt auf der türkischen Seite der Grenze. Die hat zu gewöhnlichen Zeiten 90.000 Einwohner. Mittlerweile sind etwa 80.000 Flüchtlinge dazugekommen. Direkt vor dem Grenztor treffen wir eine kleine Gruppe arabischer Syrer, die es nach Tagen auf der Flucht hierher geschafft hat: „Wir haben sechs Tage auf dem Boden im Sand geschlafen“ erzählt diese Frau. „Da ist Krieg. Da sind Flugzeuge, die Bomben abwerfen sagt ein junger Mann. Wir wollen arbeiten, wir wollen essen und satt werden. Wir wollen ein Leben haben.“

Vergangene Woche hatten die türkischen Behörden die Grenze immer wieder blockiert. Mittlerweile sind aber die meisten, die aus Tal Abyad und Umgebung geflohen sind, sicher in der Türkei eingelangt. Und viel schneller als erwartet wurde ihre Stadt befreit. Von einer Allianz aus kurdischen Kämpfern und arabischen Milizen bestätigen die Mitglieder des früheren Gemeinderats von Tal Abyad, die wir in einem Garten auf der türkischen Seite der Grenze treffen. 3 Mitglieder fehlen. Zwei wurden von IS-Schergen ins Gefängnis geworfen, einer geköpft erzählt der syrische Anwalt Ekrem Dadah. Er war einer der Vertreter der turkmenischen Volksgruppe im Gemeinderat. Und hat bis vor kurzem noch regelmäßig Todesdrohungen per Handy aus Syrien bekommen. Von IS-Mitgliedern.

Einige von ihnen kennt er seit Jahren, er hat sie früher verteidigt. Vor gut einem Jahr ist er in die Türkei geflohen. Mit seiner Familie: „Frauen müssen alle voll verschleiert sein. Es ist verboten, dass sie allein aus dem Haus gehen. Es gibt keine richtigen Schulen mehr. Auch Mädchen mit fünf Jahren müssen schon sich verschleiern. Es gibt dauernd Gerichtsverfahren. Der IS-Richter schaut dich an, er sagt, du bist tot und dann köpfen sie dich. Die sind absolut kulturlos.“

Gelitten hat er als Anwalt auch als das Assad-Regime noch in ganz Syrien das Sagen hatte. Doch mit dem Einfallen der IS-Banden wurde alles noch viel schlimmer. Sobald er kann will er zurückgehen in seine Heimat, die hinter einem Metallzaun beginnt. Nur ein paar hunderte Meter von hier: „Der Norden Syriens ist ein totes Land. Da gibt es kein richtiges Leben mehr. Das ist alles vorbei. Viele unserer Jugendlichen sind mittlerweile in der Türkei, Syrien hat sie verloren, sie sind nicht mehr dort.“

Es sind vor allem kurdische Milizen, die dem IS im Norden Syriens jüngst stark zugesetzt haben. Größere zusammenhängende Gebiete sind den Terroristen wieder entrissen worden. Doch ist unklar, ob die Kurden genügend Kämpfer und Ausrüstung haben, die zurückgewonnen Gebiete auch halten zu können. Denn letztlich waren es amerikanische Luftschläge, die die jüngsten Erfolge überhaupt erst ermöglicht haben.