Autor Ian Buruma zu Gast in Wien
Ian Buruma, ein prominenter Autor politischer Sachbücher, ist am Mittwoch auf Einladung des Bruno-Kreisky-Forums zu Gast in Wien. Ort seines Auftritts ist das Wien Museum. Dort wird der Sohn eines holländischen Vaters und einer englischen Mutter über 1945 sprechen, als der Zweite Weltkrieg endete und die unmittelbare Nachkriegszeit begann.
8. April 2017, 21:58
Zu diesem Thema hat er im Vorjahr ein Buch bei Hanser veröffentlicht "'45 - die Welt am Wendepunkt".
Mittagsjournal, 24.6.2015
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Kollektive Rache als Folge politischer Manipulation
Warum haben sowjetische Soldaten in Österreich und Deutschland 1945 regelmäßig Frauen vergewaltigt, während das bei Briten und Amerikanern die Ausnahme war? Der gängigste Erklärungsversuch lautet: "Die Rotarmisten kamen aus einer durch den Stalinismus völlig verrohten Gesellschaft." Aber das ist nicht der ganze und wichtigste Grund, erklärt Ian Buruma in seinem Buch "‘45 - Die Welt am Wendepunkt": Erstens hatte die Sowjetbevölkerung von den deutschen Besatzern noch viel Schlimmeres erlitten - es ging also um Rache. Und zweitens seien die Massenvergewaltigung auf ausdrückliche Ermunterung der sowjetischen Führung erfolgt. Kollektive Rache breche selten spontan aus; sie sei fast immer ein Ergebnis politischer Manipulation.
Lebhaftes Stimmungsbild des Jahres 1945
Ian Buruma veranschaulicht das Jahr 1945 in einer Vielzahl von Momentaufnahmen, Episoden, konkreten Schicksalen aus dem Alltag zu Kriegsende und in den Monaten danach. So ergibt sich eine Zusammenschau quer durch alle am Zweiten Weltkrieg beteiligten Länder zu Themen wie der Situation der Frauen.
Prostitution aus Not war ein Massenphänomen, Buruma schildert es detailliert von Frankreich bis Japan. Auch Liebesbeziehungen mit deutschen Besatzern, vor allem aber alliierten Befreiern waren angesichts Hunger und Mangel natürlich auch wegen der materiellen Zuwendungen reizvoll. Gleichzeitig relativiert Buruma das Klischee vom "Flittchen", das sich für Zigaretten und Seidenstrümpfe GIs oder britischen Soldaten an den Hals warf.
"Frauen waren oft die ersten Opfer"
Die Frauen hätten sich wohl auch die ihnen sonst verwehrten sexuellen Freiheiten genommen. Die Männer des jeweils eigenen Volkes fühlten sich verraten und erniedrigt. Die Reaktion habe manchmal an Hexenjagd gegrenzt: "Frauen wurden oft die ersten Opfer von Racheakten für Kollaboration - sie wurden härter bestraft als männliche Kollaborateure, die viel Schlimmeres getan hatten, als mit Deutschen zu schlafen", erklärt Buruma. "Auch dort, wo Frauen mit den Befreiern ins Bett gingen, hatten Männer das Gefühl, dass die Dinge außer Kontrolle gerieten. Der konservative Backlash für Frauen in den 50er Jahren hatte auch damit zu tun."
Üble und anhaltende Folgen
Viele Zahlen und Fakten werden für die meisten heimischen Leser neu sein. Zum Beispiel, dass der anhaltende polnische Antisemitismus noch nach Kriegsende über 1000 Morde an Juden - durch Polen - zur Folge hatte. Andererseits hatten viele polnische Familien im Krieg Juden versteckt.
Eine der vielen Geschichten aus dem Buch ist die von Ian Burumas eigenem Vater; dieser wurde 1943 nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt, was er knapp überlebte. Kriege, sogar gerechtfertigte Kriege wie der Sieg über die Nazis, würden immer üble und anhaltende Folgewirkungen haben, wie auch jetzt im Irak und in Afghanistan. Und man dürfe sie nicht leichtfertig vom Zaun brechen, betont Buruma.