Rassismusdebatte in Charleston

Genau ein Monat ist es her, dass in Charleston im US-Bundesstaat South Carolina, der 21jährige Weiße Dylan Roof in eine historische afroamerikanische Kirche spazierte, seine Waffe zückte und 9 Schwarze erschoss. Eine offen rassistische Tat, die bei viele Amerikanern Erinnerungen an eine dunkle Vergangenheit hervorgerufen hat – an die Lynchmorde im 20. Jahrhundert, an den Hass gegen Schwarze, der lange Zeit vor allem im Süden der USA zum Alltag gehörte und auch heute noch gehört.

Kränze in Charleston

Trauerbezeugungen am Ort des Attentats.

ORF/VERENA GLEITSMANN

Mittagsjournal, 18.7.2015

In South Carolina lebt diese Vergangenheit heute Nachmittag wieder auf: hunderte Ku Klux Klan Mitglieder wollen in der Hauptstadt aufmarschieren. Nun schreiben wir das Jahr 2015, Sklaverei und Rassentrennung gehören längst der Vergangenheit an, das Land hat einen schwarzen Präsidenten, die Diskriminierung von Schwarzen auf dem Papier längst verboten. Doch die Realität sieht anders aus.

Berge an Blumen, Kerzen und Stofftiere säumen den Gehsteig vor der Emanuel AME Kirche in Charleston. Auf dem großen eisernen Tor des historischen Gebäudes hängen hunderte kleine Zettel, Gebete, Botschaften, Unterschriften. Jeder sollte hierherkommen, sagt die 46jährige Tina Reddy, die frische Blumen gebracht hat. Jeder sollte diese Trauer hier mitbekommen, damit diese Menschen nicht umsonst gestorben sind.

Es war purer Hass auf Schwarze, der den 21-jährigen Dylan Roof am 17. Juni dazu brachte, 9 Menschen zu erschießen. Doch von einem Rassismus–Problem im Süden, davon wollen die meisten Bewohner von Charleston nichts wissen.

Das war mehr eine Attacke auf Christen, als auf Schwarze, sagt die 54jährige Jody Vetter. Diese Menschen sind für ihren Glauben gestorben

Rassismus ist ein landesweites Problem, sagt Skip Evans, dessen Familie seit 11 Generationen in South Carolina lebt. hier spielt er kaum eine Rolle, Im Gegenteil, wir schätzen die schwarze Kultur, die schwarze Gemeinde. Das was dieser Irre gemacht hat, hat nichts mit Rassismus zu tun.

Die Tat EINES Verrückten, eines verwirrten jungen Mannes– das hört man hier in Charleston oft. Thomas Dixon von der Bürgerrechtsorganisation „The Coalition“ kann darüber nur den Kopf schütteln.

Diese Schießerei war eine rassistische Tat – sagt der 63-Jährige. Und der Ursprung dafür liegt in der Kultur des Südens. Die Leute hier sind stolz darauf, dass ihre Vorfahren im Bürgerkrieg gekämpft haben. Aber sie vergessen bei all ihrer Liebe zur Vergangenheit ein wichtiges, grauenvolles Element: dass die Südstaaten nämlich damals ihr Recht auf Sklavenhaltung verteidigen wollten. Diesen Krieg zu feiern, kann daher nicht vom Hass auf Schwarze getrennt werden

Rassismus sei immer noch ein genauso großes Problem wie vor 50 Jahren, sagt Dixon. Nur subtiler. Indirekter. Die Armut, die Arbeitslosigkeit, die Schikanen durch die Polizei und die Behörden. Bisher hat es nun niemanden gekümmert. Bis Barack Obama zum Präsidenten gewählt wurde, hat das Weiße Amerika jahrelang so getan, als seien wir überempfindlich. Aber jetzt, nach all dem, was passiert ist, glaubt ihr uns jetzt?

Sie werden es nie glauben, sagt Jonathan Jones – der die Besucher vor der Emanual AME Kirche in Charleston von einer schattigen Parkbank aus beobachtet. Hier im Süden – hier gibt es zu viel Hass, sagt der 91-Jährige. Er habe schon viel gesehen, Und immer sei es das gleiche. Gewalt. Morde. Brennende Kirchen. Sie werden uns Schwarze niemals akzeptieren, Sie werden uns immer klein halten wollen. Ich glaube nicht, dass wir jemals über unsere Probleme hinweg kommen werden

Schwarz zu sein – für Tina Reddy bedeutet das ein Leben in ständiger Angst. Niemand der nicht selbst schwarz sei, könne das verstehen, sagt sie leise, und legt frische Blumen vor das Kirchentor. Das ist unser Leben. Jeden Tag. Ich bin eine Mutter. Und ich sehe, was alles passiert. Wenn meine Kinder nicht bei mir sind, kann ich nicht schlafen. Jedes Mal, wenn ich Polizeisirenen höre, rechne ich mit dem Schlimmsten. Diese Schießerei – sie schockiert mich, aber sie überrascht mich nicht. Ich habe immer eine Angst im Herzen. Und wenn ich irgendwohin ziehen könnte, wo es keinen Rassismus gibt – ich würde es in der Sekunde tun.