Ai Weiwei "plötzlich am Ufer"

Die erste Auslandsreise seit Jahren hat den chinesischen Aktionskünstler und Regimegegner Ai Weiwei nach Deutschland geführt. Letzte Woche ist er in München gelandet, vorgestern ist er nach Berlin weitergereist. Ob und wie lange er bleiben möchte, ist noch unklar - sicher ist, dass ihm die Universität der Künste in Berlin eine dreijährige Gastprofessur angeboten hat.

Ai Weiwei

DPA/MICHAEL KAPPELER

Kulturjournal, 7.8.2015

aus Berlin berichtet

Er gilt als das soziale Gewissen Chinas und ist einer der berühmtesten zeitgenössischen Künstler - Ai Weiwei. Vier Jahre war der Regimekritiker unter Hausarrest. Vor zwei Wochen bekommt er überraschend seinen Pass zurück, und die erste Reise führt Ai Weiwei nach Deutschland zu seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn. Im ZDF-"Morgenmagazin" hat Ai Weiwei heute über seine wiedergewonnene Freiheit, seine Zukunftspläne und seine Hoffnungen für China gesprochen.

Entspannt und ruhig wirkt Ai Weiwei, wie er da mit blauem Hemd, blauer Hose und in Espandrillos auf der roten Interview-Couch in Berlin sitzt. Vier Jahre Hausarrest hat der 57-Jährige hinter sich, dann plötzlich teilen ihm die chinesischen Behörden mit, er sei ein freier Mensch: Es sei ein Gefühl, wie wenn man im Meer geschwommen ist und plötzlich ans Ufer finden kann, sagt Ai Weiwei.

Ai Wei Wei mit seinem Sohn Ai Lao beim Baden in München

Ai Wei Wei mit seinem Sohn Ai Lao beim Baden in München

APA/INSTAGRAM

"Sie lassen mich wissen, dass sie wissen"

Wegen seiner Kritik an Missständen in China ist Ai Weiwei schon vor Jahren in Ungnade gefallen. Als 2009 nach einem Erdbeben in Sechuan mehr als 9.000 Kinder in öffentlichen Schulen verschüttet werden, prangert er den behördlichen Baupfusch an. Kurz darauf wird er von der Polizei verprügelt und schwer verletzt. Mittlerweile würde sich das Regime bemühen, seiner Person gegenüber eine positivere Einstellung an den Tag zu legen, sagt Ai Weiwei heute - wissend, dass er weiterhin überwacht wird und damit wohl noch lange leben muss: "Sie wissen zum Beispiel, dass ich heute mit Ihnen spreche. Sie lassen mich auch wissen, dass sie wissen, was ich tue."

Direkt nach seiner Ankunft in Deutschland hat sich Ai Weiwei ganz auf seine Familie konzentriert. Er habe die Woche ganz ruhig und entspannt mit seinem Sohn verbracht. "Wir waren in München, in einem Bayern-Spiel gegen Mailand", er habe das erte Mal so etwas gesehen, sagt Ai Weiwei.

Jetzt will der 57-Jährige die neuen Freiräume für seine Kunst nutzen und ungebremst auch in sozialen Netzwerken weiter aktiv sein: "Wir leben ein ganz anderes Leben, als alle anderen Generationen vor uns. Wir können unser Leben jederzeit mit den anderen Menschen teilen. Dieses Teilen ist auch ein Bestandteil der Gesellschaft. Gesellschaft heißt auch teilen - dies zu verwirklichen ist etwas, was einen Wandel der Gesellschaft bedeutet."

"Änderungen müssen passieren, und sie passieren"

Und er brennt darauf, endlich einen früheren Brauereikeller im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg auszubauen. Bereits 2009 hat Ai Weiwei das Studio eingerichtet - noch bevor die chinesischen Schikanen begonnen haben, jetzt erst kann er das Atelier auch nutzen. Deutschland hat dem Bildhauer, Maler und Fotografen ein Visum für vier Jahre ausgestellt. Um Asyl will er aber nicht ansuchen, denn trotz jahrelanger Schikanen ist er nicht verbittert und hat Hoffnung für sein Heimatland: "China befindet sich in einer sehr großen Umwälzung. Das ist etwas, was nicht nur China, sondern auch die ganze Welt noch nie gesehen hat. In diesem Veränderungsprozess wird es auch in Zukunft viele Kämpfe und Leid geben. Aber diese Änderungen müssen passieren, und sie passieren auch gerade."

Die chinesischen Behörden haben Ai Weiwei nach eigenen Angaben zugesichert, dass er zurückkommen darf - doch vorläufig will er - auch um die verlorene Zeit mit seinem sechsjährigen Sohn aufzuholen, länger in der deutschen Hauptstadt bleiben. Dazu kommt noch, dass die Berliner Universität der Künste dem 57-Jährigen eine Gastprofessur angeboten hat. Ai Weiwei scheint nicht abgeneigt, Gespräche sollen bald stattfinden.

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