Asyl: Gutachten soll EU aufrütteln

Innen- und Justizministerium wollen den Druck auf die EU erhöhen, die Flüchtlinge besser auf die Staaten zu verteilen. Die Kommission soll die entsprechende Dublin-Verordnung anpassen, weil sie in der Praxis nicht funktioniere und dem Prinzip der Solidarität in der EU widerspreche. Die Ministerien berufen sich auf ein Gutachten des Innsbrucker Europarechtlers Walter Obwexer. Es zeigt auf, welche Möglichkeiten Österreich als Staat hat, eine Änderung der bisherigen Regelung zumindest anzustoßen.

Zurückgelassene Habseligkeiten von Flüchtlingen

Zurückgelassene Habseligkeiten von Flüchtlingen

APA/HANS KLAUS TECHT

Mittagsjournal, 19.8.2015

Der Dublin-Mechanismus wird den gestiegenen Herausforderungen in der Praxis offenkundig nicht mehr gerecht, die überproportionale Belastung einiger Mitgliedsstaaten, darunter Österreichs, scheinen mit dem EU-Grundsatz der Solidarität und Lastenteilung kaum zu vereinbaren, schreibt Walter Obwexer in der Einleitung seines 14 Seiten langen Gutachtens. Zwei Kernelemente hat also demnach seine Analyse: Das Dublin-System in der geltenden Form und Artikel 80 im Lissabon-Vertrag, in dem Solidarität und Lastenteilung festgeschrieben sind.

Die Dublin3-Verordnung regelt Asylverfahren in der EU. Darin ist genau festgelegt, nach welchen Kriterien in welcher Reihenfolge ein Staat für das Asylverfahren zuständig ist. In der Praxis ist es das EU-Land, in das jemand zuerst kommt. Wenn jemand weiterreist, muss er theoretisch zurückgeschickt werden. Doch in der Praxis sind vor allem Griechenland und Italien überfordert, das belaste Österreich. Im Gutachten heißt es: Aus alledem folgt, dass die Dublin-III-Verordnung kein solidarisches System errichtet, sondern die Lasten des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in der praktischen Anwendung der Zuständigkeitskriterien überproportional auf bestimmte EU-Mitgliedstaaten verteilt werden.21 Dies verstößt gegen jene Grenzen, die der Grundsatz der Solidarität und der Lastenteilung dem Unionsgesetzgeber zieht.

Und damit kommt das Gutachten zu dem Hebel, bei dem man ansetzen kann: Dublin 3 passt mit Artikel 80 nicht zusammen. Für eine Nichtigkeitsklage ist es zu spät, da ist die Frist abgelaufen. Bleibt also die Möglichkeit, die EU-Kommission aufzufordern, einen Änderungsvorschlag vorzulegen. Diese Möglichkeit steht jedem Mitgliedsstaat offen, die Regierung könnte das per Ministerratsbeschluss machen.

Der Unionsgesetzgeber ist zwar - aufgrund des ihm zustehenden weiten Ermessens - nicht zum Erlass bestimmter Maßnahmen verpflichtet, muss aber darauf achten, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem insgesamt solidarisch ausgestaltet ist und eine gerechte Aufteilung der administrativen und finanziellen Verantwortlichkeiten sicher stellt.

Reagiert die EU-Kommission innerhalb von zwei Monaten nicht, kann Österreich beim Europäischen Gerichtshof klagen, mit dem Verweis auf Artikel 80. Gibt der EuGH Österreich Recht, muss die Kommission reagieren. Sie könnte überproportional belasteten Staaten mehr Geld geben, anerkannte Flüchtlingen umverteilen oder das Dublin-Systems selbst reformieren.