Roman von Martin Amanshauser

Der Fisch in der Streichholzschachtel

Der gebürtige Salzburger Martin Amanshauser ist einerseits ein literarischer Schelm mit Talent für Sprachspielereien, andererseits ein versierter Reiseautor. Beides hat er in seinem Roman nun zusammengeführt.

Der Fisch in der Streichholzschachtel.

Hier spricht Fred Dreher oder Alarm-Fred, wie sich der alleinige Inhaber einer Sicherheitsfirma nennt, die gerade in den Ruin steuert. Irgendwie ist er auf die verrückte Idee gekommen, seiner Frau zum Geburtstag eine familiäre Kreuzfahrt auf dem Luxusliner „Atlantis“ zu schenken, die sie obendrein vorfinanziert. Die Ehe von Fred und Tamara ist in der ganz normalen Krise, die fünfzehnjährige Tochter Malvi ist dem Vater zu dünn und gruftig, Tom, der 10-jährige Sohn ist ihm zu dick und verfressen, seine Frau ist ihm zu schön und zu ebenbürtig. Das künstliche Freizeitleben auf dem Luxusdampfer „Atlantis“ ist ihm zu abgeschmackt und langweilig, seine Laune ist miserabel.

Konflikte auf diesem Familientrip sind vorprogrammiert. Als Fred dann noch seiner alten Liebe, Amelie begegnet, einer Reisejournalistin, die zufällig mit an Bord ist, gehen die Turbulenzen erst richtig los.

Können seelische Spannungen einen Sturm auslösen? Jedenfalls gerät die „Atlantis“ in ein elementares Unwetter, das der Autor mit einer erzählerischen Wucht beschreibt, die an Edgar Alan Poes Roman „Arthur Gordon Pym“ erinnert.

Durch diesen Sturm kämpft sich auch ein Piratenschiff aus dem Jahr 1730. Stürme, so heißt es im Roman, können ein Zeitloch provozieren. Der Kapitän des Schoners „Fín del Mundo“ ist kein Geringerer als der legendäre Klaus Störtebeker oder genauer gesagt, eine etwas vom Weg abgekommene Kopie des Originals, denn der echte Seeräuber ist bereits seit 300 Jahren tot und hat in nördlichen Meeren geplündert. Sein Nachfolger hingegen fährt durch die Karibik und leidet unter einer Enter-Hemmung. Meuterei liegt in der Luft. Erst im Kampf gegen die Elemente läuft der Käptn zur Hochform auf. Dann folgt die Ruhe nach dem Sturm und man sitzt fest. Nur ein paar hundert Meter entfernt von einem anderen Schiff aus einer anderen Zeit: Der ramponierten „Atlantis“. Aber WAS für ein Schiff ist das aus Sicht der Piraten! Ein mehrstöckiger Turm, wie der von Babel, obwohl im Meer schwimmend, spornt dazu an gekapert zu werden, flößt aber auch Furcht ein.

Während sich die ungleichen Schiffe manövrierunfähig gegenüber liegen, kommt der Roman so richtig in Fahrt. Auf der „Fín del Mundo“ befindet sich auch die einzig wirklich historische Figur, der Geschichte, Anne Bonny, berühmteste Piratin aller Zeiten, die vom Pseudo-Störtebeker geschwängert wurde und ihren Bauch so bald wie möglich loswerden will. Störtebeker will seinerseits die renitente Frau an Bord loswerden, denn eine wie sie bringt nach alter Piraten-Weisheit Unglück. Also setzt er sie mit einer kleinen Abordnung, die den schwimmenden Turm von Babel ausspionieren soll, in ein Boot. In dem sitzt auch Salvino d’Armato, seines Zeichens Geograph, Chronist und alter ego des Autors. Ein aufgeklärter, ungläubiger Geist, der wegen politischer Intrigen auf der Flucht ist. Sein Befremden und seine Faszination drückt er in einer sehr eigenen Sprache aus. Das Licht der Aufklärung das auf der „Atlantis“ allgegenwärtig ist, lässt ihn paradoxerweise sogar an seinem Unglauben zweifeln.

Der Clou an der Geschichte, die in wechselnder Perspektive und auf zwei Sprachebenen erzählt wird: Die Piraten halten den Luxus-Liner nicht etwa für eine Erscheinung aus der Zukunft, sondern für ein Relikt aus einer erstaunlich technisierten Vergangenheit, lassen sich von Fotokameras und Handys faszinieren, interpretieren jedoch die befremdlichen Gegenstände auf abenteuerliche Weise. Die Bewohner der „Atlantis“ vermuten in den Piraten zuerst eine ausgeflippte Faschingstruppe, dann Rollenspieler, die nicht mehr aus ihrer angenommenen Identität herausfinden, im schlimmsten Fall sogar islamistische Terroristen.

Auf allzu menschlicher Ebene trifft man sich trotzdem. Salvino, der Chronist, kommt mit Freds Verflossener, der Reisejournalistin Amelie zusammen, die dem Geheimnis der Piraten, die in ihren Augen keine sind, auf die Spur kommen will. Malvi, die pubertierende Tochter von Fred und Tamara hingegen, reißt aus und vergnügt sich auf der „Fín del Mundo“ mit einem ihres Erachtens echten Jungpiraten. Bei ihm und seinen Freunden will sie auch bleiben, obwohl ihr Vater, Fred Dreher, der sich auf dieser stagnierenden Reise nicht nur um sich selbst gedreht, sondern auch gelernt hat, seine Familie wieder wahrzunehmen, nach besten Kräften um sie kämpft. Etwa zeitgleich bringt Anne Bonny, die Piratin, mit Hilfe von Tamara, einer ehemaligen Hebamme, ihre ungeliebte Tochter zur Welt. Tamara nennt die Räuberstochter Ronja und nimmt sie mit Einverständnis der Mutter an sich.

Einige Rezensenten haben das Buch als leichte Sommerlektüre gepriesen. Das hängt wohl mit dem karibischen Schauplatz zusammen. Martin Amanshausers in vielen Details hochkomischer Meereabenteuerroman ist aber keineswegs seicht, sondern stellenweise überraschend tief. Der Autor hat durch seine Erzählkunst das Schwere leicht gemacht.

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Martin Amanshauser, "Der Fisch in der Streichholzschachtel", Roman, Deuticke Verlag