Shenja Mannstein

Wort der Woche "Leihstimme"

Die Wien-Wahl ist geschlagen: ein wahrer Kuhhandel mit Stimmen, glaubt man den Analysen der Spitzenkandidaten. Es wurde kräftig Stimmen ausgeborgt - ihr Empfänger: Michael Häupl und seine angeschlagene Sozialdemokratie. Die Grünen liehen vermeintlich grüne Stimmen. Die Schwarzen vermeintlich schwarze Stimmen. Manch ein Nichtwähler verlieh gar seine Nicht-Stimme.

Über den Begriff Leihstimme schüttelt der Verfassungsjurist Heinz Mayer den Kopf: "Er suggeriert, dass es Wähler gibt, die einer Partei gehören und die ausnahmsweise mal eine andere Partei gewählt haben, oder für eine andere Partei verliehen worden sind. Das ist falsch, weil man ihm abspricht, dass er sich frei entscheidet." Der Wähler gehöre sich selbst, fügt Heinz Mayer hinzu.

Falschbezeichnung

"Der Wähler kann sich immer frei entscheiden, wem er seine Stimme gibt, und die Stimme bekommt auch weder die Partei noch der Wähler jemals zurück"

Klären wir dazu die Begrifflichkeiten. Leihe ist laut Heinz Mayer die unentgeltliche Überlassung eines Gegenstandes zum Gebrauch. "Ich kann Ihnen meinen Kugelschreiber leihen, dann können Sie ihn benützen, aber sie müssen ihn mir wieder zurückgeben, er bleibt mein Eigentum."

Der Kugelschreiber kann mit leerer Patrone zurückkommen, ein Buch mit Fettflecken, das Auto mit eigenwilligem Geruch. Aber sie kommen zurück. Der Eigentümer kann es einfordern. "Wenn eine politische Partei sagt, wir haben der anderen Partei Stimmen geliehen, dann ist das eine Falschbezeichnung. Der Wähler kann sich immer frei entscheiden, wem er seine Stimme gibt und aus welchen Gründen er sie diesmal einer anderem Partei gibt." Weder die Partei noch der Wähler bekomme diese Stimme jemals zurück, so Heinz Mayer, im Unterschied zur Leihe, wo man das, was verliehen wurde auch wieder zurück bekommt.

Die Stimme gehört dem Wähler insofern, als er seine Stimme abgeben darf, so Heinz Mayer: "In Wahrheit hat man alle vier Jahre eine neue Stimme, denn man kann alle vier Jahre eine neue Partei wählen, wenn man will. Aber die einmal abgegebene Stimme ist unwiderruflich weg, die ist abgegeben, die wird gewählt und einer Partei zugeordnet und dann ist Schluss."

Heinz Mayer sieht auch den oft proklamierten Gegensatz zwischen "taktischem" und "aufrichtigem" Wählen nicht: "Die Wahlentscheidung eines Wählers ist in gewisser Weise immer taktisch, weil er mit seiner Stimme etwas bewirken will. Ob er jetzt bewirken will, dass eine andere Partei als die, die er sonst wählt, stärker wird - und aus welchen Gründen er das will - ist ziemlich gleichgültig. Ich wähle ja auch taktisch, wenn ich die Partei, die ich immer wähle, wähle, weil ich möchte, dass sie stärker wird."

Mit der Wählerstimme ist es wohl am ehesten so wie mit einem – wie so oft im Leben nicht uneigennützigen - Geschenk. Tritt die erhoffte Gegenleistung nicht ein, bleibt dem Wähler nur eines: "Man kann nur bei der nächsten Wahl eine Partei wieder wählen oder eine andere, oder gar nicht wählen."