Frankfurt - die gar nicht konfliktscheue Buchmesse

Eine politische Buchmesse hat Direktor Juergen Boos für heuer angekündigt und sein Versprechen gleich mit dem Eröffnungsredner Salman Rushdie eingelöst. Was von der gestern eröffneten Buchmesse mit dem Gastland Indonesien sonst noch zu erwarten ist, verrät Boos im Interview.

Salman Rushdie und Juergen Boos

Salman Rushdie und Juergen Boos

EPA/ARNE DEDERT

Kulturjournal, 14.10.2015

"Mehr Literatur, weniger Events" - dieses Motto hat Buchmessen-Direktor Juergen Boos für 2015 ausgerufen und - "eine politische Messe". Dafür bekam er gleich zum Auftakt kräftige Unterstützung: zum einen vom Gastland Indonesien, das in Frankfurt auch die dunklen Seiten seiner Geschichte ausleuchten will, die antikommunistischen Gewaltexzesse 1965/66.

Ehrengast Indonesien

Zum anderen gibt es ein weiteres Messethema in Frankfurt, auf das sich am Eröffnungstag die Aufmerksamkeit konzentriert hat: die Meinungsfreiheit. Prominenter Eröffnungsredner war da Salman Rushdie, der indisch-britische Autor, der 1989 mit einer "Fatwa" belegt worden war. Ein starker Auftakt für die Buchmesse - wie geht's weiter in Frankfurt?

Dass sich die Messe wieder politisiert, habe sich schon seit mehreren Jahren abgezeichnet, sagt Juergen Boos: Nach dem großen politischen Höhepunkt der 60er und 70er Jahre, waren die 1990er Jahre sehr ruhig. Nun sehe man, wie es überall brennt, und das spiegle sich in der Literatur wieder.

Was bedeutet der Boykott des Iran für die Messe?

Das ist traurig; es scheint zwei Fraktionen zu geben - nicht alle werden wegbleiben. Einige iranische Aussteller werden da sein, aber der Gemeinschaftsstand wird fehlen. Ich hatte in den letzten Jahren die Hoffnung, dass eine Öffnung da ist, und das ist nun wieder ein Zeichen dagegen.

Meinungsfreiheit ist ein Schwerpunktthema. Wie geht die Messe mit Ländern um, die diese Freiheit massiv einschränken?

Wir sind immer Diskussionsforum. Seit der Gründung ist die Messe dem liberalen Denken verhaftet. Eigentlich wünschen wir uns, dass alle kommen, und die Möglichkeit da ist, mit den Vertretern, mit den Autoren zu diskutieren. Deswegen haben wir so viele Foren auf der Messe. Wenn dann einer wegbleibt und sich ausschließt, ist das gegen das ganze Konzept.

Flüchtlinge haben freien Eintritt, was sollen sie auf der Messe tun?

Wir haben seit vielen Jahren ein Programm, wo wir mit Emigranten arbeiten. Es geht immer um Leseförderung und um Deutschkenntnisse. Zusammen mit Organisationen wie Pro Asyl führen wir kuratiert Flüchtlingsgruppen über die Messe. Wir haben Muttersprachler in verschiedenen Sprachen, die programmatisch über die Messe gehen.

Der Mensch will nicht nur essen und sicher sein, der braucht auch etwas für den Kopf. Es geht auch darum, wie schnell kann ich Deutsch lernen, wie schnell kann ich mich in der deutschen Gesellschaft bewegen - das ist durchaus unser Thema.

Unter den mehr als 7.000 Ausstellern ist auch eine ganze Reihe Krisenländer vertreten - Syrien zum Beispiel.

Genau das ist uns wichtig. Wir haben Aussteller aus 110 Ländern; zusammen mit der Bundesregierung, dem Auswärtigen Amt haben wir ein Einladungsprogramm, wo wir versuchen Aussteller, Verleger aus Krisenregionen zu bekommen. Gerade die brauchen die Unterstützung, Aufmerksamkeit und vor allem ein internationales Netzwerk.

Wie präsentiert sich die Ukraine?

Gar nicht so zersplittert, wie wir es erwartet hätten. Natürlich ist das ein Stand, der von der Regierung mitorganisiert wird und repräsentiert eine gewisse politische Richtung. Aber bei uns geht es um Inklusion, um Diskussion. Deswegen sind wir froh, dass dieser Stand da ist.

Wieviel Aufmerksamkeit wird für das Gastland beleiben?

Indonesien steht auch für dieses politische Thema. Es ist ein Land, das kaum 20 Jahre in der Demokratie zu leben versucht. Es sind sehr junge Autoren, die kommen; Autoren, die sich mit der Geschichte beschäftigen. Das heißt, sie haben es zum Teil selber gar nicht erlebt. Sie beschäftigen sich mit der Geschichte ihrer Eltern; beschäftigen sich mit Vertreibung, mit einem Pogrom - fast eine Million Menschen sind umgekommen. Das Land kommt aus einer Erzähltradition, Schattenspiel, Puppenspiel, sehr viel Lyrik. Man schreibt, in dem Sinn wie wir Romane schreiben, erst seit 20, 30 Jahren. Da ist sehr viel Aufbruch da.

Warum haben sich deutsche Verlage kaum an das Thema Indonesien herangewagt?

Es ist nicht wie in Ländern, die schon eine lange Romantradition haben. Die Buchmesse soll auch ein Anfang sein. Die Netze sind jetzt geknüpft, und wir versuchen auch mit den Partnern in Indonesien ein Buchinstitut aufzubauen, damit die Förderung weitergeht.