"Die Ausgewanderten" in der Literatur
Zum siebenten Mal haben am vergangenen Wochenende in Krems und Spitz an der Donau die Europäischen Literaturtage stattgefunden. Das viertägige Symposium brachte wieder Schriftsteller, Kritiker, Literaturwissenschaftler und Verleger aus zwölf europäischen Ländern in die Wachau. Neben aktuellen Tendenzen und Innovationen im Literaturbetrieb wurde unter dem Titel "Die Ausgewanderten" diesmal vor allem der Einfluss neuer migrantischer Stimmen auf die europäische Literatur diskutiert.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 27.10.2015
Prämierter Roman von Atiq Rahimi
Die vielen unterschiedlichen Wege ins literarische Exil, Ortswechsel, die zugleich drastische Perspektivenwechsel mit sich bringen, das Leben und Schreiben zwischen den Welten und der schwierige Begriff "Heimat" standen im Zentrum der viertägigen Veranstaltung. "Mein einziges Heimatland ist die Erde", sagt der afghanische Autor Atiq Rahimi, der 1984 als 22-Jähriger aus Afghanistan nach Frankreich floh. Sein Roman "Der Stein der Geduld" erzählt vom Befreiungskampf einer afghanischen Frau aus der männlichen Gewalt und Unterdrückung. 2008 erhielt er dafür den Prix Goncourt.
Wäre er in Afghanistan geblieben, so Rahimi, hätte er das Buch wohl nie geschrieben. Politik, Mentalität und Muttersprache hätte ihm Grenzen und Tabus auferlegt, so der Schriftsteller. Erst der Wechsel nach Frankreich und in die französische Sprache habe ihm geholfen, diese Tabus zu brechen.
Najem Walis Bücher waren im Irak verboten
Ähnliche Beschränkungen erlebte auch der irakische Schriftsteller Najem Wali. Er floh 1980 im irakisch-iranischen Krieg aus Bagdad und lebt seither als Autor und Korrespondent in Deutschland. Bis 2003 waren seine Bücher im Irak verboten, heute finden sie dort eine wachsende Leserschaft - trotz oder gerade wegen seiner unverblümt kritischen Haltung. Wali schreibt auf Arabisch, acht seiner zehn Bücher sind bisher auch auf Deutsch erschienen. Das Interesse an arabischer Literatur habe in Westeuropa deutlich zugenommen, beobachtet er.
Wächter über Imagination und Kultur
Was ist die Aufgabe der Künstler, dieser Wächter über Imagination und Kultur, angesichts der aktuellen Migrations- und Flüchtlingsdebatten, fragte A. L. Kennedy in ihrem Eröffnungsvortrag und mahnte die soziale Verantwortung der Schriftsteller ein. Ilma Rakusa, eine in der Schweiz lebende Autorin mit slowakisch-ungarisch-slowenischen Wurzeln, erinnerte an die schriftstellerische Fähigkeit der genauen Beobachtung und Beschreibung. "Wir hören immer nur beängstigende Zahlen von Flüchtlingen, die jetzt nach Europa kommen", betont die Autorin, "aber Zahlen sind keine Realität, eine Realität sind Schicksale, Gesichter. Als Schriftsteller müssen wir genau das tun: Wir müssen Gesichter schaffen, über Details und Hintergründe reden."
Das dichte Tagesprogramm an Vorträgen und Diskussionen mündete allabendlich in einer literarischen Soiree. Erstmals standen diese Dichterlesungen und Autorengespräche nicht nur für registrierte Teilnehmer, sondern für alle Interessierten offen. Doch das Interesse hielt sich noch in Grenzen und ausgerechnet diese Abendveranstaltungen zählten zu den inhaltlich schwächsten der gesamten Literaturtage. Vielleicht kann der angestrebte Spagat zwischen geschlossenem Fachkreis und breiter Öffentlichkeit in Zukunft besser gelingen.