Bellocchio-Film "Sangue del mio sangue"
Mit Filmen wie "I pugni in tasca" oder "Sbatti il mostro in prima pagina" etablierte sich der italienische Regisseur Marco Bellocchio in den 1960er und -70er Jahren als einer der wichtigsten Vertreter eines politischen Autorenkinos. Heute präsentiert die Viennale "Sangue del mio sangue", das jüngste Werk des mittlerweile 75-Jährigen.
8. April 2017, 21:58

Filmstill aus "Sangue del mio sangue"
VIENNALE
1991 wurde Bellocchio für "La condanna" in Berlin der Silberne Bär für die beste Regie zugesprochen.
Kulturjournal, 28.10.2015
Mit dem Film "Sangue del mio sangue" (Blut meines Blutes) kehrt Marco Bellocchio in seine Heimatgemeinde Bobbio in der Emiglia Romagna zurück: Es sind gewissermaßen zwei Filme in Einem, erzählt zwischen Inquisition im 17. Jahrhundert und Gegenwart. Neben Pier Giorgio Bellocchio, dem Sohn des Regisseurs, sind in den Hauptrollen unter anderen Alba Rohrwacher und Robert Herlitzka zu sehen. Anfang September hatte der Film im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig Premiere.
Gefesselt ins Wasser gestoßen, mit glühendem Eisen gebrandmarkt und bei lebendigem Leib eingemauert - diesen drei Prüfungen wird eine junge Nonne unterzogen, der vorgeworfen wird ihren ehemaligen Beichtvater verführt und in den Tod getrieben zu haben. Es ist ein Spiel zwischen Glaube und Politik, Macht und falscher Moral. Denn ihr Geständnis wäre die Voraussetzung dafür, dass der Beichtvater, Mitglied einer angesehenen Familie, trotz Selbstmords beerdigt werden kann.
Inspiriert von einer wahren Geschichte und gefilmt im einstigen Klostergefängnis von Bobbio, bringt Marco Bellocchio hier in präzisen wie düsteren Bildern die Doppelmoral der Mönche auf die Leinwand. Aber gerade noch im 17. Jahrhundert fährt dann plötzlich ein Ferrari durch das Bild. Bellocchio springt in die Gegenwart und erzählt rund um die Klostermauern von Bobbio eine grelle Satire. "Ich habe das Bedürfnis verspürt, mit dieser Geschichte auch in die Gegenwart zu gehen. Dabei war es mir aber nicht wichtig eine perfekte dramaturgische Struktur zu haben. Das ist für mich auch der Geist dieses Films. Die vagen Bezüge, Andeutungen und doppeldeutigen Bilder, die Vergangenheit und Gegenwart verknüpfen."
Ein System, das noch immer nachwirkt
Als Beispiel für einen solchen losen Faden von der Vergangenheit in die Gegenwart, nennt Bellocchio die Rolle der katholischen Kirche einst, und die Rolle der Christdemokraten im Italien des 20. Jahrhunderts, die ein politisches System etabliert hätten, das noch immer nachwirkt: "Die absolute Dominanz der katholischen Kirche über die Jahrhunderte setzt sich etwa in der Gemeinde Bobbio in der Dominanz der italienischen Christdemokraten fort, die hier über Jahre zwar einen relativen Wohlstand etablieren konnten, zugleich aber auch eine systematische Korruption betrieben haben. Und die hat jede Perspektive auf Erneuerung und Veränderung im Keim erstickt."
So zurückhaltend und intensiv dabei die erste Hälfte des Films erzählt wird, so überzeichnet und komödiantisch ist die Zweite geraten: Ein russischer Investor, der das Kloster kaufen will, gefährdet den Geheimorden rund um den Conte, einen älteren Herrn. Er ist seit acht Jahren offiziell tot, zieht seither aber im Untergrund die Fäden in der kleinen Ortschaft. Als der letzte Vampir wird er beschrieben: halbtot, korrupt, zurückgezogen in den Gemächern und abgeschottet von der Realität. Eine Figur, die Bellocchio wenig schmeichelhaft als Allegorie auf das heutige Italien beschreibt.
"Dramaturgische Logik war zweitrangig"
Bellocchios Film ist dabei aber weniger ein bissiger Kommentar auf Korruption und die Lethargie des Landes, sondern viel mehr ein vages Kreisen um diese Themen und eine Annäherung über einen oft explizit italienischen Humor, der sich einem internationalem Publikum nicht immer sofort erschließt. So sah sich Bellocchio etwa bei der Premiere von "Sangue del mio sangue" am Lido in Venedig nicht nur einmal gezwungen, Szenen zu erklären; freute sich zugleich aber, wenn Journalisten etwa die Autos der Guardia di finanza, der italienischen Finanzpolizei, erkannten, die in der letzten Szene des Films - unerklärt - vorfahren.
Und so ist "Sangue del mio sangue" eine mal dramatisch gezeichnete, mal absurde Metapher auf ein Land, das gelegentlich zwischen Kirche und Politik in der Vergangenheit angekettet zu sein scheint. Ein Film, der dabei auch Ausdruck des Filmanarchisten Bellocchio ist, eine manchmal wirre Kinofantasterei des Altmeisters, für den - wie er betont - dramaturgische Logik hier zweitrangig war.
Service
Viennale - Sangue del mio sangue
28.10., Urania, 20.30 Uhr
30.10., Gartenbau, 13.00 Uhr