"Null bis unendlich": Lena Gorelik und die Migration

Die in Leningrad geborene Autorin Lena Gorelik emigrierte 1992 als 12-Jährige mit ihrer russisch-jüdischen Familie nach Deutschland. Mit Romanen wie "Hochzeit in Jerusalem" oder zuletzt "Die Listensammlerin" gilt sie als eine der wichtigsten deutschen Nachwuchsautorinnen. Ihr neues Buch "Null bis unendlich" erzählt die Geschichte von Migration und Außenseitertum.

Morgenjournal, 9.11.2015

Eines Morgens des Jahres 1992 steht Sanela in seiner Klasse. Der hochbegabte 14-jährige Nils Liebe soll sich um das verwaiste Flüchtlingskind aus Jugoslawien kümmern. Und während Sanela mit wachsenden Deutschkenntnissen nach und nach auch ihr Ausdrucksvermögen zurückgewinnt, haben sie und Nils längst eine eigene Art der Verständigung entwickelt.

Sie kommunizieren in trauter Verschwiegenheit über kurze auf Zettel gekritzelte Botschaften, und schließlich nimmt Nils Liebe sie mit in die Buchhandlung, wo sie sich gegenseitig ihre Lieblingstitel zeigen und Zitate daraus vorlesen. "Für Nils Liebe, der als Hochbegabter schwer mit Gleichaltrigen zurechtkommt und auch mit seinen Eltern nicht sprechen kann, ist das das erste richtige Gespräch seines Lebens", erzählt die Autorin Lena Gorelik.

Schicksal der Fremdheit und Unangepasstheit

Damit beginnt eine fast magische Beziehung, die getragen wird vom gemeinsamen Schicksal der gesellschaftlichen Unangepasstheit und die geprägt ist von Krieg, Flucht und Ankommen in der Fremde. Die Aktualität der Thematik sei allerdings zufällig, so die Autorin: "Der Jugoslawienkrieg ist nicht der Syrienkrieg, aber das Ankommen ist immer dasselbe. Das heißt, Sanela erlebt das, was heute Tausende Flüchtlinge täglich in Deutschland erleben. Ich habe den Roman allerdings vor der aktuellen Flüchtlingskrise in fertiggestellt, und es war auch nicht meine Absicht, darin ein politisches Anliegen zu verpacken."

Mathematische Liebe von Null bis Unendlich

Die beiden Protagonisten verlieren sich aus den Augen, erst 15 Jahre später sucht die todkranke Sanela ihren Jugendfreund erneut auf und bringt ihren neunjährigen Sohn mit dem eigensinnigen Namen Niels-Tito in seine Obhut. Alle drei verbindet das Unvermögen mit Emotionen umzugehen und die Liebe zur Mathematik, von Null bis Unendlich. Das Beziehungsgeflecht der drei Protagonisten gibt immer wieder den Blick frei auf große gesellschaftliche und politische Anliegen. Im Zentrum stehen allerdings die Figuren selbst, betont Gorelik.

Versuch & Scheitern an der Liebe

Ausgerechnet Nils Liebe, das macht die Autorin schon im Prolog des Romans deutlich, ausgerechnet der analytische Denker mit dem bezeichnenden Familiennamen wird Zeit seines Lebens an der Liebe scheitern. In flüssiger Sprache, mit viel Humor, Ironie und stilistischer Klarheit erzählt "Null bis Unendlich" die Geschichte dieses Versuchs an der Liebe, die trotz des vorhersehbaren Misslingens eine große Spannung und Sogwirkung entfaltet.

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Lena Gorelik, "Null bis unendlich", Rowohlt Verlag