Philosoph Andre Glucksmann gestorben

Der französische Philosoph Andre Glucksmann ist im Alter von 78 Jahren in Paris gestorben. Er war einer der Parade-Intellektuellen aus der Zeit der Studentenproteste von 1968 in Paris, für die "Neue Zürcher Zeitung" ist er "der letzte Maoist unter den Philosophen".

Aber Glucksmann war mehr als ein Linker, der in ein nostalgisches Eck gestellt werden kann: Mit seiner Kritik an totalitären Systemen ist er aktuell ins 21. Jahrhundert gewechselt und hat die Macht der Dummheit analysiert und angeprangert.

Mittagsjournal, 10.11.2015

Aus Paris,

Gegen jede Form von Unterdrückung

Man nannte ihn auch in den letzten Jahren noch den "wütenden Philosophen" - einer, der sich mit gleichbleibender Vehemenz gegen Unrecht und für die Menschenrechte stark machte und sich in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem einer Thematik verschrieben hatte: der Kritik an dem autokratischen System Russlands und an der Politik von Vladimir Putin. Kaum eine Stimme erhob sich so laut, wie die von Andre Glucksmann, wenn es darum ging etwa die Massaker an den Tschetschenen zu verurteilen.

Seine letzten kritischen Interventionen in Frankreich galten der Art und Weise, wie das Land mit Sinti und Roma umgeht. Über seine Art und Weise des Engagements sagte der frühere französische Kulturminister, Jack Lang: "Es vibrierte und brannte in ihm. Er war nicht da für eine Show, sondern weil er durch seine Person, sein Leben, seine Geschichte regelrecht getrieben war, sich gegen jede Form von Diktatur und Unterdrückung aufzulehnen."

Köchin und Menschenfresser

Der Schüler von Jean Paul Sartre und Raymond Aron war in den 1970er Jahren der Initiator der Gruppe, die man die Neuen Philosophen nennen sollte. Die von der extremen Linken, meist vom Maoismus kamen, dann aber dem Marxismus abschwörten. Diese Entwicklung fand in Glucksmanns 1975 erschienenem Buch "Köchin und Menschenfresser - über die Beziehung zwischen Staat, Marxismus und Konzentrationslager" ihren Niederschlag. Darin zog er erste Parallelen zwischen Nazismus und Kommunismus zog.

Dem entsprechend war Glucksmann in 1970er Jahren in Frankreich auch eine der maßgeblichen Personen, die damals die russischen Dissidenten, die die Sowjetunion verlassen konnten, in Frankreich aufnahmen. Einer seiner damaligen Mitstreiter, der Philosoph Pascal Bruckner: "André Glucksmann ist vor allem derjenige, der der kommunistischen Ideologie in Frankreich den entscheidenden Schlag versetzt hat. Er war der erste, der Solschenizyn empfangen und verstanden hat, was dieser russische Autor über den Gulag schrieb. Er hatte damals enorm viele Kritiker und Gegner, aber er hat durchgehalten."

"Sämtliche Dramen des 20. Jh. vereint"

Über Frankreichs Grenzen hinaus wurde Glucksmann 1979 bekannt, mit seinem Engagement für die vietnamesischen "Boatpeople", als es ihm gelang, die beiden verfeindeten großen Philosophen Sartre und Aron dazu zu bewegen, gemeinsam bei Staatspräsident Giscard d'Estaing Druck zu machen, damit Frankreich Hunderttausende dieser Flüchtlinge aufnimmt. Glucksmann verglich damals das Schicksal der Vietnamesen mit dem der Juden während des Zweiten Weltkriegs.

"Wenn wir, die reichen Länder, unfähig sind 380.000 Menschen aufzunehmen, dann glaube ich nicht, dass wir zu anderen Zeiten 6 Millionen gerettet hätten. Ich glaube also, dass wir nicht nur die Ermordung von 380.000 Menschen weiter betreiben, sondern auch die von 6 Millionen, die schon tot sind." Glucksmann war seit dem Jugoslawienkrieg zu einem vehementen und lautstarken Verfechter militärischer Interventionen des Westens geworden - bis hin zu den Militärschlägen gegen Gaddafi in Libyen. 2007 hatte diese anerkannte Figur im Kampf gegen den Totalitarismus zum Erstaunen vieler Nicoloas Sarkozy im Präsidentschaftswahlkampf unterstützt.

Andre Glucksmann war als Sohn österreichischer Juden im Exil in einem Pariser Vorort geboren worden, als Siebenjähriger konnte er von seiner Mutter aus einem Zug vor der Deportation in ein Konzentrationslager gerettet werden, was ihn später sagen ließ: "alles, was danach kam, war nur Nachschlag." Ein Nachschlag, der rund 70 Jahre eines erfüllten, engagierten und streitbaren Lebens umfassen sollte, das Leben eines Mannes von dem Frankreichs Staatspräsident sagte, er habe in seiner Person sämtliche Dramen des 20. Jahrhunderts vereint.

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Le Monde - Mort d’André Glucksmann, le philosophe en colère

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