Stimmen aus dem Iran bei "Literatur im Herbst"

Wie lebendig die iranische Gegenwartsliteratur ist, zeigt bis Sonntag das Festival "Literatur im Herbst" im Wiener Odeon. Exilschriftsteller, denen im Iran die Todesstrafe droht, lesen dort genauso wie Autoren, die zwar noch immer im Land leben, dort aber nicht mehr publizieren können. Einer von ihnen ist Amir Hassan Cheheltan, der Freitagabend die Eröffnungsrede halten wird.

Morgenjournal, 20.11.2015

Im Oktober hatte der Iran wegen eines Auftritts Salman Rushdies seine Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse abgesagt. Das repressive Regime und seine rigorosen Zensurmaßnahmen konnten aber nicht verhindern, dass sich eine kritische Literaturszene etabliert hat, die sich allen Widerständen zum Trotz Gehör verschafft. Wie lebendig die iranische Gegenwartsliteratur ist, das zeigt bis Sonntag das Festival "Literatur im Herbst" im Wiener Odeon.

Isfahan im Jahr 1722

Der neue Roman Amir Hassan Cheheltans ist gerade erst herausgekommen, heißt "Der Kalligraph von Isfahan" und führt zurück ins Jahr 1722. Vordergründig erzählt er eine Liebesgeschichte, doch Zeit und Schauplatz des Romans sind genau gewählt. Amir Hassan Cheheltan: "Es war eine Ära des Fundamentalismus, der sich gegen Wein, Musik, Tanz und Lyrik wandte, gegen alles also, was schön ist."

Alkohol war offiziell verboten, dank korrupter Beamter und einer lebenslustigen Bevölkerung blühte aber ein reger Handel. Nicht anders als heute übrigens. Kürzlich hat die WHO bekannt gegeben, so erzählt Cheheltan, dass der Iran in Sachen pro Kopf-Konsum von Alkohol noch vor Russland oder England auf dem 19 .Platz rangiert, während der Alkoholkonsum offiziell verboten ist und nach dem islamischen Strafgesetzbuch sogar mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Amir Hassan Cheheltan: "Das existiert nur auf dem Papier, denn es gibt einen großen Schwarzmarkt, auf dem sich sehr viel Geld verdienen lässt."

Vom Westen geprägte Mittelschicht

Die iranische Mittelschicht, die stark vom Westen geprägt ist, wächst stetig. Die Gegensätze zwischen den Vorgaben der religiösen Führung im Land und dem halb versteckt gelebten Alltag der Bevölkerung klaffen deshalb immer weiter auseinander. Den Iran als eine Mischung aus Saudi Arabien und Nordkorea zu sehen, sei aus diesem Grund auch, so Cheheltan, mehr als weltfremd.

Schon allein an der Stellung der Frau kann man ablesen, dass hier die Uhren anders ticken als auf der arabischen Halbinsel. Amir Hassan Cheheltan: "Die Bevölkerung im Iran hat sich seit der Revolution 1979 verdoppelt, die Anzahl der weiblichen Schriftsteller hat sich im gleichen Zeitraum aber wahrscheinlich verfünffacht. Darüber hinaus sind Frauen auch in der Musik und im Film überaus präsent und auch auf den Hochschulen sind zwei Drittel der Studierenden weiblich."

Spontaneität und Intuition regieren

Darüber hinaus ist die Bevölkerung des Iran ausgesprochen jung. Zwei Drittel der Menschen sind unter Dreißig, weshalb Cheheltan von einer amateurhaften Gesellschaft spricht, in der Spontaneität und Intuition regieren. Der große Kampf gilt derzeit der grassierenden Arbeitslosigkeit, die auch dafür sorgt, dass Männer noch bis 30 oder sogar 40 bei ihren Eltern leben. Hat das im Oktober in Kraft getretene Atomabkommen da Abhilfe geschaffen? Amir Hassan Cheheltan: "Psychologisch bedeutete das Atomabkommen ein Aufatmen für die Bevölkerung, aber die wirtschaftliche Situation kann sich natürlich nicht über Nacht erholen. Die Inflation ist zwar zurückgegangen, spürbare Veränderungen gibt es aber derzeit keine. Noch ist alles beim Alten."

Bisher nur auf Deutsch

Cheheltans Roman "Der Kalligraph von Isfahan" ist bisher übrigens nur auf Deutsch erschienen. Das Buch im Iran herauszubringen hat der Schriftsteller gar nicht erst versucht. Amir Hassan Cheheltan: "Ich wollte mein Buch nicht der Schere der Zensoren opfern, die mir bei einem früheren Roman schon einmal ein ganzes Kapitel rausgestrichen haben. Die Gründe sind immer die gleichen: Erotische Szenen, politische Anspielungen und religiöse Belange. Aber wenn man nicht über Sex und Politik schreiben kann, welche Themen bleiben einem dann noch für einen Roman."

Die unzensurierte iranische Gegenwartsliteratur ist von heute Abend bis kommenden Sonntag im Wiener Odeon zu erleben. Veranstaltet wird "Literatur im Herbst" von der Alten Schmiede, kuratiert hat das Programm Ilija Trojanow.

Service

Alte Schmiede – Literatur im Herbst 2015 Stimmen aus dem Iran
20. bis 22. November im Theater Odeon

FAZ - Schreiben ist eine gefährliche Sache

Amir Hassan Cheheltan