Umstrittene Verfassungsreform in Frankreich
Frankreichs Nationalversammlung hat gestern die Debatte über eine Verfassungsänderung aufgenommen, die Staatspräsident Hollande nach den Terroranschlägen vom November auf den Weg gebracht hat. Eine höchst umstrittene Reform, die sowohl den Ausnahmezustand in die Verfassung aufnehmen soll, als auch - und das ist für Viele besonders fragwürdig - die Möglichkeit, Franzosen nach einer Terrorismus-Verurteilung ihre Staatsbürgerschaft zu entziehen - eine Forderung der Nationalen Front.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 6.2.2016
Aus Paris,
Schon vor der Parlamentsdebatte war seit Tagen nur noch von Farce, Schlamassel oder Fiasko die Rede – je länger die öffentliche Diskussion anhielt, desto weniger wurde verständlich, warum Staatspräsident Hollande sich auf seinen Vorschlag versteift, die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Terroristen in die Verfassung aufnehmen zu wollen – entsprechend schwer tat sich Regierungschef Valls bei der Präsentation der Reform im Parlament: Es geht darum die Feinde der Republik, die Feinde Frankreichs zu bekämpfen. Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft ist die kollektive Antwort der Franzosen gegenüber anderen Franzosen, die beschlossen haben, das Leben der Nation in Gefahr zu bringen.
Das Problem: die drohende Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft wird keinen Terroristen davon abhalten, ein Attentat zu begehen. Und: sie kann - da internationale Verträge untersagen, einen Bürger staatenlos zu machen - nur Franzosen mit doppelter Staatsangehörigkeit treffen – theoretisch rund 3,5 Millionen mit Wurzeln in Nord- und Schwarzafrika. De facto als nicht mehr als ein symbolischer Akt, allerdings ein Symbol, das zwei Kategorien von Franzosen schafft und ausgerechnet die stigmatisiert, die im gegenwärtigen Klima ohnehin schon unter Generalverdacht stehen, Islamisten zu sein.
Namhafte Juristen, Philosophen und Autoren, wie Mitterrands ehemaliger Berater, Jacques Attali, haben jüngst in einem Aufruf an die Abgeordneten appelliert, diese Reform im Namen der Freiheit abzulehnen. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Cecile Duflot sagte in der Debatte: Auch Robert Badinter, der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts betont die Nutzlosigkeit dieser Maßnahme. Wir hätten uns diese Debatte ersparen können, denn weder der Ausnahmezustand noch die Aberkennung der Staatsbürgerschaft machen eine Verfassungsreform nötig.
Jacques Toubon, einst Justizminister unter Präsident Chirac und Ombudsmann zum Schutz der Bürgerrechte, warnt seinerseits mit deutlichen Worten: Wenn am Ende dieses Terrors, den wir zu erleiden haben, eine gefestigte Republik steht, dann haben wir gewonnen. Wenn wir die Republik aber herabsetzen, dann werden die Terroristen in gewisser Weise erreicht haben, was sie wollten.
Frankreichs Staatspräsident hat durch diese Aberkennung der Staatsbürgerschaft, die Verfassungscharakter bekommen soll, bereits seine Justizministerin verloren – sie ist aus Protest dagegen zurückgetreten.
Inzwischen scheint nicht mal mehr eine Mehrheit in der Nationalversammlung sicher – dass letztendlich der Kongress – die Vereinigung der Abgeordneten aus Nationalversammlung und Senat – dieser Verfassungsänderung in einigen Moanten mit einer 3/5 Mehrheit wirklich zustimmt, wird von Tag zu Tag unwahrscheinlicher – für Präsident Hollande scheint sich die schwerste politische Niederlage in seiner bald vierjährigen Amtszeit abzuzeichnen.