Marthaler an der Berliner Volksbühne
Heute Abend hat an der Berliner Volksbühne eine neue Inszenierung des vielfach ausgezeichneten Schweizer Regisseurs Christoph Marthaler Premiere. "Hallelujah (Ein Reservat)" brachte Marthaler gemeinsam mit langjährigen künstlerischen Begleitern auf die Bühne: mit der Bühnenbildnerin Anna Viebrock und dem Dramaturgenteam Stefanie Carp und Malte Ubenauf.
27. April 2017, 15:40

APA/BARBARA GINDL
Wie so oft bei Marthaler geht es um Außenseiter, die versuchen, ihr Leben zu meistern. Und wie so oft spielt auch Musik eine große Rolle bei der Inszenierung. Das Genre ist diesmal ungewöhnlich: Die Zuschauer erwartet ein Abend mit Country- und Western-Musik.
Mittagsjournal, 18.2.2016
Aus Berlin,
Country-Musik im verrotteten Park
Die Inszenierung beginnt mit einer improvisierten Country Music Show im strömenden Regen, auf dem Gelände eines aufgelassenen Vergnügungsparks. Ein paar Menschen haben sich hierher verirrt und wollen wieder etwas aufbauen. Auf dem Boden liegt eine große umgekippte Dinosaurier-Figur. Das weckt Assoziationen an den längst geschlossenen ehemals größten Vergnügungspark der DDR im Plänterwald in Ostberlin. Der halb verrottete Park, für den sich jetzt ein neuer Investor interessiert, hat Christoph Marthaler und sein Team genauso inspiriert, wie die große Indianer-Begeisterung in der DDR.
Leidenschaft für Schwache
Die Idee, einen Abend mit Country-Musik zu machen, habe sich schon länger angebahnt erzählt Dramaturgin Stefanie Carp: "In der Frühzeit der Vereinigten Staaten ist Country Music eine Musik der wirklich armen Leute. Meistens handelt es von Liebeskummer, von Einsamkeit, von Gefängnis. Christoph interessiert sich sicher für den ‚heartbreak‘ darin, es sind ja sehr traurige, auch sehr schöne Lieder."
Christoph Marthaler hat eine stille Leidenschaft für schwache, verletzte und einsame Menschen. Für diejenigen, die am Rand der Gesellschaft stehen und manchmal - unfreiwillig komisch - versuchen, sich doch noch ein Stück vom Leben abzukratzen.
Die einschränkende Ordnung
Diesmal haben sich seine Figuren in eine Art Reservat verirrt. Ein eigenartiges Lager, das von seltsamen Figuren bevölkert wird, die an Johnny Cash oder Dolly Parton erinnern, oder an den Amerikaner Dean Reed, der tatsächlich in die DDR ausgewandert ist und in den 1960er und 70er Jahren hinter dem Eiserenen Vorhang eine lebende Legende war. Auf allzu viel Komik verzichtet Marthaler bei dieser Inszenierung. Nach und nach offenbart sich, dass der Freizeitpark ein geschlossener Ort ist, ein Art Lager mit Freizeitzwangsmaßnahmen.
Durch ein solches Reservat irren auch die Figuren. Sie bauen sinnlose Zäune auf, schaffen eine Ordnung, die sie einschränkt. "Ich glaube, dass unser ganzes westliches Leben in gewisser Weise auch eine Art Reservat ist, ein westliches Luxuscamp. Das aber schon lange gar kein Luxuscamp mehr ist." Und das, sagt Carp, habe ganz aktuelle Bezüge: "Derzeit gibt sehr viele Flüchtlinge, die in dieses westliche Leben hinein wollen und in Lager gesperrt werden und irgendwann auch in diesem Reservat, diesem Hallo-Camp leben werden." Das Hallo kommt von einer anonymen Lausprecher Stimme, die klar macht, worum es hier geht: "You want to stay part oft hat."
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Volksbühne - Hallelujah