Jonkes "Geometrischer Heimatroman" neu aufgelegt

Ein Kultbuch der literarischen Avantgarde in Österreich wird neu aufgelegt: der "Geometrischen Heimatroman" von Gert Jonke. Heimat kommt nur im Titel vor, und auch andere Erwartungen an einen konventionellen Erzähltext werden nicht erfüllt. In visionärer Weise hat Jonke darin schon vor Jahrzehnten Klimakatastrophe und Überwachungswahn vorausgesehen.

Mit seinem "Geometrischen Heimatroman" schaffte Gert Jonke 1969 den literarischen Durchbruch. Anke Bosse, die Leiterin des Musil-Instituts, hat den "Geometrischen Heimatroman" des in Klagenfurt geborenen Autors neu herausgegeben - in der Reihe "Österreichs Eigensinn" des Jung und Jung-Verlags. Am 8. Februar hätte Gert Jonke seinen 70. Geburtstag gefeiert.

Gert Jonke

APA/Hans Klaus Techt

Kulturjournal, 7.3.2016

Zwei Stimmen des Autors vereint

Ein Dorfplatz, umgeben von Häusern, in der Mitte ein Brunnen, Menschen, die verschiedensten Beschäftigungen nachgehen. Zwei nicht näher beschriebene Personen wollen über den Dorfplatz gehen und schaffen es doch erst ganz am Ende des "Geometrischen Heimatromans". Die 1969 veröffentlichte erste Fassung hat Gert Jonke 1980 überarbeitet. Und das macht diesen Roman auch für die Herausgeberin Anke Bosse so spannend: Man habe in der Neuausgabe zwei Stimmen Jonkes - seine Art zu schreiben von 1969 und von 1980. Letztere sei nicht mehr der "Sprachkritiker und -experimentator, sondern ein Jonke, der auf die Suche nach einer neuen poetischen Sprache geht", so die Herausgeberin.

Charakteristisch für den seit seiner letzten Veröffentlichung 2004 längst vergriffenen Text ist, dass er gängige Erwartungen ganz bewusst nicht erfüllt, und das fängt schon beim Titel an. "Das Wort 'Heimat' ist eine falsche Fährte, die gelegt wird", es komme nur im Titel vor. Und was im Roman als "Raum beschrieben wird - das Dorf, seine Umgebung, die Natur - ist abstrakt und wird über weite Teile mit geometrischen Vokabular beschrieben". Hügel zum Beispiel werden als Sinus- und Cosinuskurven beschrieben, die verschoben sind.

Sprache, ein Instrument der Macht

Es geht vor allem um eines: Sprache. Was machen die Menschen mit ihr und was macht sie mit den Menschen? Sprache eignet sich - und das zeigt dieser Roman eindrucksvoll - auch als Instrument der Macht, der Normierung und Reglementierung von Welt und damit der Menschen.

In seinem Debütroman geht der 23-jährige Gert Jonke noch viel weiter: "Absichtlich lässt er Stimmen in der Schwebe", erklärt Anke Bosse. Es ist nicht klar, wer welche Geschichte erzählt, doch dabei bleibt es nicht, auch die Geschichten selbst können sich so oder auch ganz anders zugetragen haben. Und damit steht auch unsere Wahrnehmung, unsere Auffassung von Wirklichkeit höchst ernsthaft und zugleich höchst vergnüglich zur Disposition.

Zeitreise zu Jonkes Anfängen

Die Neuauflage des "Geometrischen Heimatromans" ermöglicht eine Zeitreise zurück zu den literarischen Anfängen Gert Jonkes, zu einem Text, der viel mehr ist als "nur" ein Beispiel für sprachkritische experimentelle Literatur. Unglaublich zeitgemäß ist Gert Jonkes Beschreibung der Formularwut im Kapitel "Das neue Gesetz". Die Obrigkeit erfindet schwarze Männer, die Menschen in den Wäldern verschwinden lassen. Die Formularwut führt in die völlige Absurdität - das zeigt Gert Jonke an einem Fragebogen, der im Roman über fast sechs Seiten geht.

Herausgeberin Anke Bosse hat beide Fassungen des "Geometrischen Heimatromans" miteinander verglichen. Die Eingriffe gehen weit über die "kleinen stilistischen Änderungen" hinaus, von denen Gert Jonke selbst gesprochen hat. 1980 sind zum Beispiel völlig neue Endzeitvisionen dazugekommen.

Faszinierende Sprachwelt

Man kann Peter Handkes Einschätzung des "Geometrischen Heimatromans" nur zustimmen: "Eine Chance nicht nur beim Lesen, sondern auch am Lesen Vergnügen zu haben." Ein sehr großes Vergnügen sogar, wenn man sich auf die faszinierende Sprachwelt Gert Jonkes einlässt und der eigenen Fantasie viel Raum gibt.

Service

Gert Jonke, "Geometrischer Heimatroman", herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Anke Bosse, Jung und Jung, 2016