Pussy Riot: Protest in Buchform
Die russische Band Pussy Riot wurde mit ihrem Protest gegen Wladimir Putin weltberühmt. Nach einem schrillen Punk-Gebet im Februar 2012 in einer Kirche, in dem die Aktivistinnen die enge Verflechtung von Kirche und Staat in Russland kritisiert haben, wurden zwei der Musikerinnen zu je zwei Jahren Haft verurteilt. Über diese Zeit hat die eine der beiden, Nadja Tolokonnikowa, das Buch "Anleitung für eine Revolution" geschrieben.
6. März 2018, 11:46
Morgenjournal, 9.3.2016
"Muttergottes, Jungfrau, verjage Putin" rufen die jungen mit Wollhauben maskierten Frauen, die vor dem Altar der Moskauer Erlöser-Kathedrale tanzen: Doch ihr Punk-Gebet wird nicht erhört. Was folgt sind Verhaftung, monatelange Untersuchungshaft und schließlich Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis im Straflager. Nadja Tolokonnikowa ist 23 Jahre alt. Bis zu 20 Stunden am Tag arbeitet sie als Näherin, die Zellen sind kalt, das Essen schlecht, Demütigungen an der Tagesordnung. Im Dezember 2013 wird sie entlassen.
"Meine Stimme wurde mir zu groß"
"Als ich entlassen wurde, war ich komplett niedergeschlagen", erzählt Tolokonnikowa, "einerseits wegen der Gefängniserlebnisse, aber auch wegen der neuen Verantwortung. Meine Stimme wurde mir zu groß und alles zu viel. Ich wurde eingeladen in Parlamenten zu sprechen oder vor dem US-Senat, und ich war nicht sicher, ob ich nach dem Gefängnis in dieser Rolle entsprechen könnte."
Weil sie immer wieder zu ihren Erfahrungen im Gefängnis befragt wird, beschließt Tolokonnikowa ein Buch zu schreiben. Es wird ein Revolutionsführer draus, mit Augenzwinkern versteht sich. "Es ist gerade so populär eine Anleitung zu schreiben, und auch das Wort 'Revolution' ist populär geworden, das sieht man schon am aktuellen 'Vogue'-Cover: 'Welcome to the revolution' steht da neben dem Gesicht von Adele. Das gehört einfach zur westlichen Kultur dazu. Würde ich das Buch in Russland publizieren, müsste ich es anders nennen, denn wir eine andere Haltung zum Wort 'Revolution', aber hier gehört es zur Popkultur."
Erinnerungen, Zitate & Lebensregeln
Und so ist das Buch, das sie nebenbei und im Flugzeug geschrieben hat, auch ein Pop-Buch geworden - 200 kurze Absätze, Erinnerungen, Zitate oder Lebensregeln wie: "Tue das unmögliche; Lebe so, dass dein Leben ein Filmplot werden könnte" oder "Lies keine Nachrichten, mach sie."
"Eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Grenzen der Protestkunst im heutigen Russland wäre wertvoller gewesen als ein poppiger Ratgeber", urteilt "Die Welt", "schade um eine vergebene Chance", schreibt "Die Zeit". "Spiegel" und "FAZ" sind voll des Lobes, doch Nadja Tolokonnikowa ist schon längst beim nächsten Projekt.
Mythos "Putin-Stabilität"
In ihrem neuen Musikvideo "Tschaika", prangert sie das korrupte russische Justizsystem an. Dass sie das in Netzstrümpfen und High Heels tut, mag ihre feministischen Anhängerinnen verstören, doch die Zeit der wollenen Sturmhauben scheint vorbei. Tolokonnikowa, die in Moskau mit Mann und Kind wohnt und eine NGO gegründet hat, wählt statt Aktionismus eine massentaugliche Form des Protestes.
"Die Russen sind pragmatische Menschen, sie glauben nicht mehr an Ideologien und sie haben durch die Geschichte gelernt, dass Veränderungen nur Schwierigkeiten bedeuten. Deshalb sind sie konservativ und wollen den Status quo erhalten. Ich denke, eine Revolution nur um der Revolution willen, würde zu nichts führen, das hat der Arabische Frühling gezeigt. Wir Russen müssen Schritt für Schritt gehen. Und mein Beitrag dazu, ist Menschen Zugang zu objektiven Medien zu geben - zu Fakten und Informationen, damit sie selbst entscheiden können. Und viele sind enttäuscht, sie haben ihren Job verloren, leben ohne Elektrizität und Medikamente. Und die sogenannte Putin-Stabilität hat sich als Mythologie herausgestellt.
"Ein zweiter Clown wäre eine Katastrophe"
Derzeit ist Tolokonnikowa in den USA und macht sich für Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders stark. Und warnt vor Donald Trump. Ein zweiter gefährlicher Clown an der Spitze eines so großen Landes wäre für die Welt eine Katastrophe.
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Nadja Tolokonnikowa, "Anleitung für eine Revolution", Hanser