School of Kyiv im Wiener MUSA

Die Kiewer Biennale 2015 ist von staatlicher Seite überraschend abgesagt worden - was die beiden Wiener Kuratoren nicht davon abgehalten hat, die Veranstaltung ohne staatliche Unterstützung durchzuziehen - mit großem Erfolg. Nun findet die Kunstbiennale in verschiedenen Städten mit Ausstellungen und Diskussionen ihre Fortsetzung: ab morgen auch im Wiener Museum auf Abruf (MUSA).

Eine Statue der der Kopf abgeschlagen wurde

Stefan Lux | Courtesy: The artist and Kerstin Engholm Gallery

Kulturjournal, 10.3.2016

In einigen internationalen Rankings in die Kiew Biennale von vergangenem Herbst unter die besten Ausstellungen des Jahres gereiht worden. Kuratoren waren die Österreicher Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer. Diese Biennale unter dem Titel "The School of Kyiv" war keine einmalige Veranstaltung, sondern setzt sich als offener Prozess mit Ausstellungen, Vorträgen und Diskussionen in anderen Städten fort. Nach Karlsruhe oder Leipzig nomadisiert die "School of Kyiv" nun auch durch Wien. Erste Station ist eine Ausstellung im MUSA beim Rathaus. Titel: "Die Schule des Reichtums". Hier werden einige der in Kiev gezeigten Arbeiten, aber auch neue Werke präsentiert.

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MUSA - Die Schule des Reichtums. Eine Klasse der Schule von Kyiv
The School of Kyiv

Schule des Reichtums

Die Kiew Biennale war eine über die ganze Stadt versprengte Großausstellung; zu den Hauptschauplätzen gehörten weite Hallen einer stillgelegten Filmfabrik, die sonst nicht für Kunst genutzt werden. In ähnlicher Weise wird die "School of Kyiv" dieses Frühjahr hindurch in Wien kurz und überraschend an teils peripheren Orten aufpoppen; auch in wenig kulturverwöhnten Bezirken. Als Startrampe wird allerdings ein zentral gelegener Kunstraum, eben das Museum auf Abruf, bespielt: Installationen, Videos, Fotoarbeiten kreisen um globale Entwicklungen in ihrer ukrainischen Ausformung. "Schule des Reichtums" heißt dieser Ableger der Kiew-Biennale.

Napoleons Imitatoren

In der Ukraine liegen reich und arm besonders drastisch weit auseinander. Darauf nimmt eine Installation des Österreichers Franz Kapfer Bezug: Eine Nachbildung des ornamentalen Napoleons-Tors im Louvre springt als riesiger und doch filigraner Raumtrenner ins Auge. Dieser wird unter anderem konfrontiert mit einer bunten Collage aus Wahlwerbe-Postern ukrainischer Polit-Oligarchen, wie der Künstler erklärt:

"Napoleon ist ein perfektes Beispiel für Personen, die sich mit sozialer Intelligenz in eine Machtposition hinaufgearbeitet haben, dann sich zu Tyrannen entwickeln und alles wieder kaputt machen. Das dauert immer eine gewisse Zeit, und diese Zeit verursacht immer relativ viel Chaos und Elend. Heutzutage hat man die Imitatoren. Das ist bei mir zum Beispiel die Oligarchie von Kiew, wo jetzt diese Neureichen natürlich auch in einer Identitätskrise stecken - und wie gestaltet man jetzt sein Interieur? Und da gibt's hervorragende Beispiele dieser Geschmacksneurosen."

Geschichte wird visuell ausradiert

Während dort Pensionisten zum Teil von unter 100 Euro pro Monat leben müssen, konnte die Korruption in der Ukraine noch nicht entscheidend eingedämmt werden. Davon soll populistische Symbolpolitik ablenken - wie die so genannte "Dekommunisierung". Symbole des Sowjet-Kommunismus im öffentlichen Raum müssen seit Mai letzten Jahres verpflichtend abmontiert werden, selbst wenn sie künstlerisch von Wert sind. Unterlassung ist strafbar.

Wie radikal Geschichte visuell ausradiert wird, dokumentiert eine Foto- und Videoinstallation von Anna Jermolaewa. Mit halb oder ganz abgebauten Leninstatuen oder schon leeren Sockeln oder nur mehr den Spuren der Sockel am Rasen. Vor den Fotos liegt eines der realen Objekte der Recherche: ein goldgefärbelter, innen hohler, überlebensgroßer Lenin mit abgebrochenem Haupt. "Das Gold in den Denkmälern bleibt ja da. Es sind halt keine Lenin-Denkmäler mehr, sondern Denkmäler des Kosakenführers oder der großen Mutter Ukraine; also die Nation denkt sich da auch mit ihren Insignien anders", erklärt der Kurator Georg Schöllhammer.

Waffenunterricht gehört zum Lehrplan

Und der junge Künstler Mykola Ridnyi kritisiert, dass die Leute durch Debatten etwa zur Umbenennung von Straßen und Plätzen abgelenkt werden von ihrem Unmut über ungesunde Arbeitsbedingungen Mini-Gehälter und rasch steigende Lebenskosten. 2012 hat Ridnyi einen Lehrer gefilmt, der in einem Schutzraum unter einer Schule halbwüchsigen Schülern vor-militärischen Unterricht etwa im Laden von Maschinenpistolen gibt. Waffenunterricht gehört in der Ukraine nach wie vor zum Lehrplan. Der Konflikt um die selbsternannten russischen Autonomiezonen in der Ostukraine - dies sei derzeit ein gefrorener Konflikt, der jederzeit wieder eine heiße Phase erreichen könne.

Mikhail Tolmachev hat Fotos von Kampfhandlungen aus Zeitungen schwarzweiß in Ausschnitten abfotografiert. Fotos aus Berichten der ukrainischen wie der russischen Presse. Die eingesetzte Artillerie ist auf den Ausschnitten nicht mehr zu sehen. Daraus wurden Fotoradierungen, weich in den Konturen wie piktorialistische Fotografie der frühen Moderne. Was man sieht, sind lyrische Landschaftsausschnitte. Nur eigenartig tief hängende weiße Wölkchen lassen da und dort erahnen, dass etwas nicht stimmt.

"In dem Konflikt gibt es keine Grenzen. Genauso wie es eigentlich keine Grenzen zwischen Russland und der Ukraine. Das ist historisch ein konstruiertes System von Grenzen. Auf den Bildern sieht man nur Landschaften, und man sieht nicht, von welcher Seite, von der pro-russischen oder der pro-ukrainischen. Das ist sehr verschwommen."

Zerstörerische Begehrlichkeiten

Nicht nur wegen des bewaffneten Konflikts ist die weite ukrainische Landschaft potentiell zerstörerischen Begehrlichkeiten ausgesetzt. "Es ist eine der fruchtbarsten Landschaften Europas, einer der fruchtbarsten Böden. Und dieser Boden wird jetzt gerade unter den großen Agrarkonzernen aufgeteilt. Und die Bevölkerung wird davon nichts haben. Das ist ein idealer Boden, um dort große Landwirtschaft zu machen", so Schöllhammer.

Auf die "Schule des Reichtums" im MUSA werden in Wien die "Schule des Teufels", die "Schule der Einsamen" und die "Schule der Ortlosen" folgen.