Erdogan setzt Diplomaten unter Druck

In der Türkei verstärkt Präsident Erdogan den Druck auf ausländische Diplomaten. Konkret geht es um EU-Vertreter, die in Istanbul am vergangenen Freitag den Prozess gegen zwei regierungskritische Journalisten am Gericht beobachtet hatten.

Mittagsjournal, 29.3.2016

Aus der Türkei,

Öffentlicher Wutausbruch

Dass ausländische Diplomaten, darunter auch die österreichische Generalkonsulin in Istanbul den Prozess gegen zwei regierungskritische Journalisten beobachten wollen, das ist dem türkischen Präsidenten schon zu viel. Und erzeugt einen öffentlichen Wutausbruch: „Wer seid ihr, was habt ihr dort zu suchen?“ donnert Erdogan bei einer Rede vor türkischen Geschäftsleuten. Und: „Ihr könnt Euch in Euren Konsulatsgebäuden und innerhalb der Mauern Eurer Vertretung frei bewegen. Überall sonst braucht ihre eine Genehmigung. Das ist nicht Euer Land. Das ist die Türkei.“

Zur primären Zielscheibe seiner Wut hat der türkische Präsident den britischen Generalkonsul Leigh Turner auserkoren, der beim Prozessauftakt ein Selfie mit dem angeklagten Journalisten Can Dündar auf Twitter veröffentlicht hat. Wenn dieser Diplomat hier weiterarbeiten kann, dann nur aufgrund unserer Großzügigkeit und unserer Gastfreundschaft legt Erdogan nach. Rasch finden sich im Internet immer mehr Stimmen, die den britischen Diplomaten bedrohen und wüst beschimpfen. Verschwinde, geh nachhause – das sind noch die freundlicheren Formulierungen, die auf Twitter zu lesen sind.

Rund ein Dutzend Botschafter, auch der Vertreter Österreichs, werden ins Außenministerium in Ankara zitiert. Der Vorwurf laut: Beeinflussung der unabhängigen türkischen Justiz. Bei Gesprächen mit westlichen Diplomaten ist deren Empörung spürbar. Man werde weiterhin Prozesse gegen kritische Journalisten weiterhin beobachten, von einem EU-Beitrittskandidaten erwarte man Respekt vor Gesetzen und eine Achtung der Meinungsfreiheit, die Aussagen von Präsident Erdogan missachten diplomatische Konventionen heißt es in europäischen Diplomatenkreisen. Künftig werde man als Diplomat in der Türkei wohl den Präsidenten fragen müssen, ob man im Supermarkt einkaufen gehen kann meint ein EU-Vertreter zynisch.

Dass der Präsident im von ihm persönlich angestrengten Prozess gegen die zwei kritischen Journalisten der Tageszeitung Cumhurriyet keine Beobachter will, überrascht nicht. Can Dündar, der Chefredakteur und sein Bürochef in Ankara Erdem Gül haben für die Regierung Unangenehmes veröffentlicht. Über angebliche Waffenlieferung an radikale syrische Rebellen über die man die Öffentlichkeit belogen habe. Dündar und seinem Kollegen droht bei einer Verurteilung lebenslange Haft.

Die Erosion des türkischen Rechtsstaates ist unübersehbar, Präsident Erdogan für die Europäer ein unberechenbarer Partner, den man zur Bewältigung der Flüchtlingskrise aber braucht. Auch die USA brauchen den wichtigen Nato-Partner. Trotzdem sind aus Washington kritischere Töne zu hören: zwei ehemalige US-Botschafter in Ankara meinten jüngst in einem Artikel in der Washington Post, Erdogan habe zwei Optionen: er müsse sich ändern oder zurücktreten. Auch da ließ der Wutanfall aus dem Präsidentenpalast nicht lange auf sich warten.