EU-Türkei-Deal durch Visastreit bedroht

Der Streit über die Visumspflicht für Türken in der EU bedroht den Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei. Zwei Monate nach Abschluss des Abkommens sinken die Chancen auf die versprochene Reisefreiheit für türkische Staatsbürger schon Ende Juni. Ankara reagiert mit Drohungen, das EU-Parlament hat massive Vorbehalte und legt sich quer.

Recip Erdogan

APA/AFP/ADEM ALTAN

Morgenjournal, 12.5.2016

Gegenwind aus Straßburg

Sicher nicht, sagt EU-Parlamentspräsident Martin Schulz - sicher nicht bevor die Türkei nicht alle 72 Voraussetzungen für die Visa-Liberalisierung erfüllt habe. 5 Punkte sind noch offen - vor allem einer scheint unüberwindbar: Es bestehen große Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Pressefreiheit zwischen der türkischen Regierung und dem EU-Parlament.

Stein des Anstoßes ist die Weigerung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Anti-Terror-Gesetze seines Landes - wie von der EU gefordert und zunächst auch mit der Türkei vereinbart - zu ändern, wie auch EU-Innenkommissar Dimitris im Europaparlament in Straßburg einräumt: Es gibt noch viel zu tun, nicht zuletzt muss die Türkei ihre Anti-Terrorgesetze europäischen Standards anpassen.

Der Anti-Terrorparagraf erlaubt den türkischen Behörden gegen Medienvertreter vorzugehen, ohne Angabe von Gründen. Zwei türkische Journalisten sind bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament sagt, man habe die hohen Strafen gegen die Journalisten gesehen, dann der erzwungene Rücktritt des Premiers und dann noch Schüsse an der Grenze zu Syrien auf Flüchtlinge.

Die EU-Abgeordnete Sophie in't Veld von der liberalen Fraktion ALDE warnt vor Erpressung: Erst heute haben wir erfahren dass Herr Erdogan über seinen Berater dem Europäischen Parlament droht, im Falle einer falschen Entscheidung wieder Flüchtlinge nach Europa zu schicken. Ich nenne das Erpressung.

Quer über alle Parteigrenzen äußern alle EU-Parlamentarier massive Vorbehalte gegen die Türkei - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Front National Chefin Marine Le Pen: Sie sehen das so, dass wir die Türkei brauchen um ein Problem zu lösen, für das Sie selbst verantwortlich sind, durch die Abschaffung nationaler Grenzen

Aber auch die großen Fraktionen im EU-Parlament sind skeptisch, die Sozialdemokratin Kati Piri, sagt etwa man habe sich auf eine Beschleunigung des Visaprozesses geeinigt, nicht darauf die eigenen Standards abzusenken. Und für die Europäische Volkspartei warnt Jeroen Lenaers vor der Abhängigkeit von Präsident Erdogan.

Der Wind dreht sich, das EU-Parlament lässt seine Muskeln spielen Das spürt auch die Türkei. Präsident Erdogan spricht jetzt von Oktober als neuem Zieldatum für die Visa-Liberalisierung. Und sein EU-Minister Volkan Bozkir, der gestern zu Krisengesprächen in Straßburg mit Parlaments-Präsident Schulz zusammengetroffen ist sagt: Pressefreiheit in der Türkei darüber können wir durchaus diskutieren aber erst wenn sich die Türkei als Teil der europäischen Familie fühlt. Aber er spricht auch von einem sehr gefährlichen Moment für den EU-Türkei Flüchtlings-Pakt.

Und wie gefährlich er ist, darüber werden heute wohl EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker und Parlamentspräsident Schulz mit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel in Berlin beraten.