Trash-Designer Mikhail Koptev im WUK

Das New Yorker Lifestyle-Magazin "Vice" hat Mikhail Koptev zum besten Trash-Designer der Welt erklärt. Im Rahmen der Reihe "School of Kyiv - Klasse Wien" zeigt er heute Abend im WUK eines seiner dionysischen Spektakel.

Mikhail Koptev

"Ich übertrete eine ganze Reihe von Normen. Und ich möchte zeigen, dass man deswegen nicht Komplexe haben muss." Mikhail Koptev

ORF/Dorothee Frank

Kulturjournal, 17.5.2016

Bis vor wenigen Monaten hat Mikhail Koptev in Luhansk gelebt; die ostukrainische Stadt ist Zentrum der gleichnamigen Volksrepublik, die russische Separatisten dort ausgerufen haben. Koptev inszeniert Modeperformances, die erotisch extravagant und politisch provokativ sind, und er lebt offen seine Homosexualität.

Im vergangenen Herbst war er zur Kiew-Biennale eingeladen. Die Kuratoren der Biennale, Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer, haben Koptev nun auch nach Wien geholt.

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Trashig, elegant und schrill

Mikhail Koptev trug heute früh eine Art Russenmütze aus schwarzem Webpelz über einem sanften Gesicht zwischen halblangen blonden Locken. Das bestickte schwarze Gilet lässt viel Brustausschnitt und ein wenig Bauch frei. Freilich ist das viel Stoff auf der Haut, im Vergleich zu seinen Modeperformances. Da tragen die Modelle zum Beispiel Hosen mit Genitalausschnitt; transparentes Fetzenwerk, das gar nichts bedeckt; oder netzartige Negligés aus Pelz- und Lederresten, Plastikstreifen und vielem mehr, kombiniert mit Körperbemalung. Die Outfits oszillieren zwischen trashig, elegant und schrill.

Die menschliche Gier zeigen

Mikhail Koptev ist eine ukrainische Kultfigur mit internationaler Ausstrahlung. Ein Fürst des Trash-Designs, der viele seiner Materialien von der Müllkippe holt. "Ich benutze Dinge, die ich alten Frauen abgekauft habe, die schon x-Mal umgeschneidert worden sind, und Dinge aus dem Abfall. Wenn ich für mein Kaninchen Blümchen und Kräuter sammeln gehe, sehe ich oft irgendwas herumliegen, und mir fällt gleich ein, wofür ich das verwenden könnte. Das können Konservendosen sein, Stücke von rostigen Ketten, rostige Nägel, Plastikteile, aus denen ich Masken herstelle, Cellophan, und Stücke von Schläuchen. Ich möchte zeigen, dass die Menschen in ihrer Gier die Welt in eine Müllhalde verwandelt haben. Und wenn sie nicht damit aufhören, werden sie darin ersticken."

"Es gibt zu viel soziale Kontrolle"

Daheim galt Koptev auch wegen der expliziten Erotik seiner Shows von Anfang an als Provokateur. Westliche Besucher seiner Performances schildern diese als Post-Punk Psychodramen, die auch an Drogenperformances in Andy Warhols "Kitchen" erinnern. Die traumatische Erfahrung des Bürgerkriegs in der Ostukraine wird ausagiert, die Obszönität des Kriegs wird gespiegelt, und gleichzeitig ekstatisch-kathartisch überwunden. Ja, er protestiere auch gegen das reaktionäre Klima, mit dem er seit seiner Jugend in den letzten Jahren des Sowjetregimes konfrontiert war.

"Ich übertrete eine ganze Reihe von Normen. Und ich möchte zeigen, dass man deswegen nicht Komplexe haben muss, und dass man sich nicht für jeden seiner Schritte entschuldigen muss; wenn man nichts Schändliches tut. In der Gesellschaft gibt es zu viel soziale Kontrolle und Schuldzuweisungen. Ich möchte nur so leben, wie ich kann, und zeigen, was es im Leben noch für andere Wirklichkeiten gibt."

Vom Schumacher zum Modedesigner

Koptev spricht russisch wie die Mehrheit in seiner ostukrainischen Heimatstadt Luhansk. Der gelernte Schumacher ist als Modedesigner Autodidakt. Als junges Model sagte ihm die Kleidung, die er am Laufsteg präsentierte, oft nicht zu. Worauf er selbst zu entwerfen begann. Über 20 Jahre inszenierte er in Luhansk Shows in dem von ihm gegründeten Theater Orchidee. Die Shows wurden plakatiert, es kam immer ein sehr gemischtes Publikum, weitaus nicht nur der intellektuelle Underground. Lang hat Koptev in Luhansk ausgeharrt, trotz wachsender Anfeindungen durch Nationalisten beider Seiten und erzkonservative Kirchenkräfte, trotz Mobbing im Internet. Vor drei Monaten ist er dann doch nach Kiew übersiedelt. Trotz des formalen Waffenstillstands herrsche keineswegs Friede in der Region Luhansk.

Selbstjustiz und Rechtlosigkeit

"Es ist alles ganz schrecklich. Ich habe Leichen und Verwundete gesehen. Und Soldaten und Maschinengewehre. Kasachische und udmurtische Scharfschützen. Offensichtlich herrscht Selbstjustiz und Rechtlosigkeit. Wenn ich so agiert hätte wie vor dem Krieg, wäre ich nicht mehr am Leben."

Kein Wunder, dass ihm auf diesem Hintergrund Wien überaus friedlich und fröhlich vorkommt. Vielleicht wird er ja, so wie bei der Kiew Biennale, auch heute im WUK bei der Show dem Publikum zuprosten: mit mitgebrachtem ukrainischem Wodka, am Unterkörper nur mit einer blonden Perücke bekleidet, die er sich mit der Hand vor die schönste Stelle hält.