Neuinterpretation der Flüchtlingszahlen

Um den Richtwert von 37.500 Flüchtlingen könnte sich wieder ein Konflikt anbahnen: Regierung, Länder, Städte und Gemeinden hatten ihn am 20. Jänner vereinbart. 37.500 sollten heuer zum Asylverfahren in Österreich zugelassen werden. Jetzt hat Bundeskanzler Kern (SPÖ) eine Interpretation dieser Vereinbarung - basierend auf Zahlen aus dem Innenministerium verlautbart, die de facto wesentlich mehr Neuzugänge bedeuten würde als die 37.500. Schon regt sich Widerstand.

Christian Kern und Reinhold Mitterlehner

APA/ROLAND SCHLAGER

Morgenjournal 8, 1.6.2016

Es geschah gestern Mittag, in der Pressekonferenz nach dem Ministerrat - ganz am Schluss die Frage einer Journalistin, wann denn jene Verordnung in Kraft gesetzt werden könnte, die es den Behörden erlaubt, Personen, die nachgewiesenermaßen über sichere Drittstaaten eingereist sind, ein Asylverfahren zu verwehren. Die Antwort von Bundeskanzler Kern, SPÖ: „im Asylgesetz ist ein Richtwert festgehalten, der 37.500 Asylberechtigte formuliert. Diese Zahl, meinem Verständnis nach, liegt derzeit bei 11.000. Das sind die Zahlen des Innenministeriums“.

Das kam für viele überraschend, hatte man doch noch vor ein paar Tagen von derzeit 20.000 bis 22.000 auf den Richtwert anzurechnenden Fällen gehört. Kanzler Kern sprach also von nur mehr 11.000 und der neben ihm stehende Vizekanzler Mitterlehner, ÖVP, widersprach ihm nicht: „Ich sehs genauso.“

Wenig später, nach dieser Pressekonferenz dann die Erläuterung aus Regierungskreisen. Nicht mitgezählt würden alle sogenannten Dublin-Fälle, bei denen also rechtlich ein anderes Land zuständig ist. Und ebenso wenig der Familiennachzug - und auch Kinder die erst nach dem Asylantrag der Eltern geboren werden.

Diese Ausnahmen stehen jedenfalls wortwörtlich im Gipfelpapier vom Jänner nicht drin. Im Papier heißt es dazu nur, man beabsichtige im Jahr 2016 37.500 Flüchtlinge zum Asylverfahren zuzulassen. Ob damit das sogenannte Zulassungsverfahren gemeint war, in dem erst geprüft wird, ob Österreich überhaupt zuständig ist, oder ob damit auch das nachfolgende inhaltliche Verfahren gemeint war, in dem geprüft wird, ob eine Person tatsächlich Asyl erhält, ist unklar - ebenso, warum eine Person schon vor der Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft Flüchtling genannt wird.

Tatsache ist, jetzt kann um die Definition der 37.500 deftig gestritten werden. Wird es offenbar auch: Die Tageszeitung Österreich berichtet bereits von einem namentlich nicht genannten ÖVP-Minister, der dem Regierungs-Chef Zahlentrickserei vorgeworfen habe, und von VP-Außenminister Kurz, der in kleinem Kreis Ehrlichkeit bei diesem sensiblen Thema eingefordert habe.