"Sturm"-Regisseurin Warner im Gespräch

Bei den Salzburger Festspielen hat morgen "Der Sturm" Premiere, den Shakespeare wenige Jahre vor seinem Tod geschrieben hatte. Immer wieder gab es Spekulationen, es handle sich um eine Art Selbstporträt, das der Dichter mit dem Charakter des Prospero der Nachwelt hinterlassen wollte. Darüber hat Ö1 mit Regisseurin Deborah Warner gesprochen.

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Salzburger Festspiele - Der Sturm

Die Britin, die für eine eher traditionelle Theaterauffassung steht, sorgte zuletzt mit einer Inszenierung von "Dido & Aeneas" bei den Wiener Festwochen für Begeisterung.

Kulturjournal, 1.8.2016

Ö1: "Der Sturm" ist das letzte von Shakespeare geschriebene Werk. Denken Sie, dass es sein literarisches Vermächtnis ist? Sein Abschied von der Welt sozusagen?

Deborah Warner: Natürlich sind wir fasziniert, weil wir denken, es sei das letzte Stück, das er alleine verfasst hat. Überall klingt der Abschiedsschmerz durch, zum Beispiel, wenn der alte Prospero sich am Ende von der Welt verabschiedet. Bestimmt hat Shakespeare gespürt, dass er älter wurde, und sein Leben sich zu Ende neigte. Jedenfalls musste er von London Abschied nehmen und zurück nach Stratford gehen, wo er seine letzten drei Lebensjahre im Kreise seiner Familie verbrachte. Vielleicht war er krank, wir wissen es nicht. Bald darauf, kurz vor seinem 52. Geburtstag starb er dort, 1616. Mit Sicherheit können wir aber sagen, dass dieses Stück ein Abschied war von dem, was er im Leben am meisten geliebt hat.

Was Shakespeare am meisten geliebt hat, scheint das Theater, die Poesie gewesen zu sein. Wollen Sie das mit Ihrer Inszenierung deutlich machen? Denn es geht ja darum, dass Sprache und Poesie die größten Mysterien in die Welt zaubern können.

Ja, das Stück ist eine theatralische Schatztruhe. Es ist voll von Wundern und Sonderbarkeiten. Es ist insofern einzigartig, weil es keine direkte Quelle gibt, es geht nicht auf irgendwelche realen Ereignisse zurück, nach denen Shakespeare in Archiven gestöbert hätte. Es geht einzig auf seine unglaubliche Imaginationskraft zurück. Shakespeare hat die magische Strahlkraft dieser gesamten Insel, die auf keiner Karte zu finden ist, allein aus seinen Worten erschaffen. Außerdem sind da einige der schillerndsten Charaktere, die Shakespeare jemals beschrieben hat. Den Luftgeist Ariel und Caliban, den Sohn der Hexe Sycorax, hat er völlig frei erfunden. So ist diese Insel eine sehr lebendige Metapher für das magische Land der Poesie.

Ist das der Aspekt am "Sturm", der sie am meisten interessiert hat?

Jeder der das Theater liebt, liebt den "Sturm". Weil es das Stück ist, das am direktesten das Wesen des Theatermachens verhandelt. Es ist eine große Herausforderung für Theatermacher, weil es Regisseure und Schauspieler an die Grenzen ihrer Imaginationskraft treibt. Aber da ist noch ein anderer Aspekt, der sehr ins Gewicht fällt: Shakespeares Vision einer entlegenen Insel, auf der selbst die schlechtesten Menschen Gnade und Vergebung finden können. Dadurch ist dieses Stück für alle Zeiten von Bedeutung.

Heute, 400 Jahre später, haben Sie viele technologische Mittel um die Zaubereien in Szene zu setzen: Sie haben Video, sie haben verstärkte Stimmen aus dem Off, Sie können Ariel auf die Brust schreiben "unsichtbar". Zu Shakespeares Zeiten gab es diese Möglichkeit nicht, weil viele Menschen Analphabeten waren. Wie hat denn Shakespeare das geschafft? So wie Sie, die zauberhaften Erscheinungen allein mit den Mitteln der Pantomime darzustellen? In einer auf langen Strecken sehr archaischen Inszenierung.

In einer Mischung aus beidem, meinen Sie? Ja, denn ich glaube, es ist eine große Gefahr, den "Sturm" als "Harry Potter"-Film zu inszenieren. Würde man die technologischen Möglichkeiten zu sehr ausschlachten, würde die Kraft der Sprache verloren gehen. Ich denke, Shakespeare hat das Stück nicht im Freien gespielt sondern in einem Theater, was ihm die Möglichkeit von wesentlich mehr bühnentechnischen Extravaganzen eröffnet hat. Weil sie das T-Shirt von Ariel angesprochen haben, auf dem groß "unsichtbar" steht. Ich habe in alten Aufzeichnungen eine Stelle gefunden, dass jemand hinausgegangen ist, um einen "Unsichtbarkeitsmantel" zu holen. Das heißt, es gab zu Shakespeares Zeiten eigene Umhänge, die auch dem nicht lesekundigen Publikum signalisierten: "Diese Figur ist unsichtbar."

Sie sagten, Sie wollten keine "Harry Potter"-Show aus dem Stück machen, aber an der Stelle, als plötzlich ein Video hunderte von schwarzen Vögeln über die Bühne flattern lässt …

Lacht. Ja, wir zollen natürlich Harry Potter unseren Tribut. Natürlich haben wir einige Szene, die hochtechnologisch sind und eine reiche Klangwelt vermitteln. Und wunderbare Bildwelten von großartigen Videokünstlern. Wir haben das an manchen Stellen sehr ausgekostet; aber ich hoffe, dass wir eine Balance gefunden haben. Wie Sie sagen, da gibt es auf weiten Strecken eine große Einfachheit. Prospero beschreibt seine Magie sehr schön, als er sich von ihr verabschiedet. Immerhin setzt er mit seiner Poesie einen Sturm in die Welt, bei dem alle Schiffbrüchigen gerettet werden. Er öffnet Gräber und hebt die Toten heraus. Das ist eine sehr mächtige Zauberei.

Das letzte Jahr waren die Medien voll mit Berichten von schiffbrüchigen Flüchtlingen. Die Schwimmwesten, die einige der Schauspieler auf der Bühne tragen, ist das eine Anspielung darauf?

Ja. Kaum ein Tag ist vergangen, an denen wir nicht schreckliche Bilder von Bootsreisen gesehen haben, die das Leben der Menschen für immer verändert haben. Sie haben entweder tragisch geendet oder erfolgreich. Worin es in dem Stück geht, sind solche Seereisen, die das Leben der Menschen für immer verändern. Es geht um die Magie und Transformationen. Alles in diesem Stück ist Veränderung. Selbst der Mann, der den Sturm schafft, Prospero, ist gezwungen, sich selbst zu begegnen und seine Richtung zu ändern. Das Stück könnte genauso gut ein traditionelles Rachedrama sein. Denn Prospero nimmt auf dieser kleinen Insel eine Gruppe von Menschen in Geiselhaft, die er als seine Feinde beschreibt. Sie sind ihm dort ausgeliefert, er könnte mit ihnen machen, was er will. Aber dann endet das Stück versöhnlich in Vergebung und Erlösung. Und sogar die schlimmsten Charaktere finden Gnade. Für mich ist das sie Kernaussage des Stückes und gerade in so schrecklichen Zeiten macht das das Stück umso bedeutender.

Der Bezug zur Gegenwart ist nicht sehr explizit, er ist mehr so zwischen den Zeilen herauszulesen. Heuer gibt es in Salzburg eine große Diskussion darum, wie politisch Kunst sein muss. Wie denken Sie darüber?

Ich kann mich an dieser Debatte nicht beteiligen. Es kann nicht das eine oder das andere sein. Natürlich muss ein Stück für unsere Zeit bedeutend sein. Und Shakespeare ist seit 400 Jahren jedes Jahr von Bedeutung. Er bezog sich immer auf seine Gegenwart, auch wenn seien Stücke manchmal in Zeiten spielen, die für ihn schon einige hundert Jahre zurücklagen. Das ist eben das faszinierende an seinen Stücken: Er hat kaum etwas geschrieben, das nicht in unserer Gegenwart widerhallt.

Das Theater muss alles sein, eine Zelebrierung des Menschlichen, eine Untersuchung des Menschlichen. Ob es auch eine Kritik sein sollte, weiß ich nicht. Ich denke, Shakespeare kritisiert die Menschen nicht; er zelebriert die menschliche Verfasstheit eher. Denn er liebt die Menschheit. Er zeigt sie in all ihrer Komplexität, Extravaganz und unglaublichen Schönheit. Aber auch in ihrer Verrücktheit. Dennoch verabsäumt er es nie, seinen Charakteren zu vergeben. Vielleicht gibt es einen Charakter, dem er nicht vergibt. Das ist Jago. Etwas, das Shakespeare nicht vergeben konnte, war wenn ein Charakter log. Das war wohl deshalb, weil er selbst die Wahrheit so liebte und in seiner Sprache so wahrhaftig war.