Von Jens Balzer

Pop - ein Panorama der Gegenwart

Wie unsere Gesellschaft ist auch die heutige Popmusik so vielfältig und fragmentiert wie nie zuvor. Das wird klar bei der Lektüre von Jens Balzers Buch "Pop – ein Panorama der Gegenwart". Balzer ist stellvertretender Feuilletonchef der "Berliner Zeitung" und gehört zu den bekanntesten Musikkritikern Deutschlands. In seinem neuen Buch hat er Konzert- und Albumkritiken der letzten 15 Jahre zu einem Panoptikum des Pop zusammengefasst.

Kontext, 4.8.2016

Bei Balzer wimmelt es nur so von Dialektiken, und alles, was mehr lang als breit ist, wird zum Phallussymbol erklärt. In Anlehnung an Freud möchte man ihm stellenweise sagen: Manchmal ist eine Gitarre nur eine Gitarre. Doch die wortgewaltigen Analysen münden nicht in einer übergreifenden Theorie. Es ist nicht einmal klar, was genau Balzer unter dem Begriff „Popmusik“ versteht. Seine Kategorisierung, oder, wie er es nennt, Phänomenologie der Konzerte, hat zwei Achsen: Es gibt gute und schlechte Konzerte, sowie interessante und uninteressante. Die guten und interessanten führen Balzer meistens ins Berghain, Berlins berüchtigten und mit Abstand berühmtesten Nachtklub. Hier werden die avantgardistischen, elektronischen Spielarten der Popmusik geboten, bei denen Balzer sich offenbar am wohlsten fühlt. Denn wer sich wie er beruflich mit Pop befasst, gibt er ganz offen zu, suche eher nach Musik, die sich nicht umstandslos ins Ohr schmeichelt.

Die schlechten, aber mitunter interessanten Konzerte erlebt er in der unweit vom Berghain gelegenen Mehrzweckhalle beim Ostbahnhof, die derzeit Mercedes-Benz Arena heißt. So durchkommerzialisiert wie der Name sind auch die Shows, die dort geboten werden. Doch wenn sich Balzer mit fast schon masochistischer Genüsslichkeit durch ein Klassik-Konzert von Sting quält oder die dramatischen Szenen beschreibt, als Justin-Bieber-Fans beim Eingang ihre selbstgemalten Plakate wegschmeißen müssen, gelingen ihm die besten Momente des Buches. Verrisse sind eben immer unterhaltsamer – und Jens Balzers Verrisse ganz besonders.

Service

Jens Balzer, "Pop – Ein Panorama der Gegenwart", Rowohlt Berlin