Vor Urteil im Amokfahrer-Prozess

In Graz wird noch heute das Urteil im Prozess nach der Amokfahrt in der steirischen Hauptstadt erwartet. Dem Angeklagten Alen R. wird vorgeworfen, bei seiner Amokfahrt durch die Innenstadt im vergangenen Jahr 3 Menschen getötet und 50 weitere Menschen verletzt zu haben. Aber war er zurechnungsfähig oder nicht? Darüber gibt es einen Expertenstreit. Heute Vormittag war bei Gericht noch eine Gutachterin zu hören.

Mittagsjournal, 29.9.2016

Direkt aus Graz,

Richter Andreas Rom

APA/ERWIN SCHERIAU/APA-POOL

Die psychologische Gutachterin Anita Raiger hält eine zielgerichtete Tat für möglich. Für sie war der Betroffene zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig. Der psychiatrische Gutachter Jürgen Müller sah dies hingegen anders. Mit einem Urteil dürfte erst am Abend zu rechnen sein.

Heute Abend dürfte es ein Urteil im Prozess nach der Amokfahrt von Graz geben. Am Vormittag war die letzte Gutachterin am Wort – eine Psychologin – also im Gegensatz zu drei anderen Gutachtern keine Psychiaterin und Ärztin. Diese Psychologin vertritt die These, dass der 27-Jährige Täter zurechnungsfähig und ein fast klassischer Amokfahrer war. Sie vermutet sogar, dass er durch ein Computerspiel angeregt worden ist und bewusst am Grand Prix–Wochenende die Tat verübt hat. Bernt Koschuh, wie hat die Psychologin das begründet?

Was wir da heute gehört haben, waren mit Abstand die schärfsten Gutachter-Vorwürfe gegen den 27-jährigen Täter in diesem Prozess. Die Psychologin und Kriminologin Anita Raiger sieht seine todbringende Fahrt durch Graz als Rache an der Gesellschaft für massive Kränkungen über Jahre.

Der 27-jährige habe in Graz keinen Job gefunden, seine Waffe wurde ihm abgenommen, Frau und Kinder waren im Frauenhaus und dann noch seine polizeiliche Wegweisung vom Elternhaus. Da fährt er wie zur Vorbereitung des Amoks plötzlich mit einer Machete eine Woche lang durch Graz, sagt die Gutachterin. Und sie vermutet sogar, dass der 27-Jährige das Amokfahrer Ego-Shooter Spiel GTA gespielt hat. Bewusst sei er dann am Grand-Prix- Wochenende losgefahren. Und wie bei einem Autorennen bleibt er bei einer roten Ampel stehen und gibt dann Vollgas, formuliert die Psychologin.

Ja. Sie sieht keine nachvollziehbaren Anzeichen für paranoide Schizophrenie und Unzurechnungsfähigkeit. Sie spricht von einer psychopathischen Störung, das erkenne man unter anderem daran, dass der Mann betrügerisch sei, manipulativ und herzlos – auch ängstlich sei er und er zeige eine hohe Lügenbereitschaft. Die Psychologin hat übrigens die Tat des 27-Jährigen verglichen mit wissenschaftlich untersuchten Amokfahrten, da seien 80% nicht psychotisch, also zurechnungsfähig gewesen.

Die Reaktion des Täters war wie immer knapp: „Ich bin ganz sicher nicht gefährlich. Das war nicht absichtlich.“ Sagt er leise. Seine Anwältin versucht dann, das Gutachten in Frage zu stellen und auch die Qualifikation der Psychologin Raiger – auf einer fast schon persönlichen Ebene. Das sind dann die Momente wo die Zuhörer im Saal die Gesichter verziehen und wo es gestern schon eine Rüge des Richters gab. Und jetzt am Vormittag hat er einmal gemeint, das ist hier kein Kindergarten.

Falls es eine bewusste Dramaturgie des Gerichts ist, dass die beiden Gutachter, die von Zurechnungsfähigkeit ausgehen als letzte drankommen, dann könnte man auf einen Schuldspruch und etwa einer lebenslänglichen Strafe plus Einweisung in eine Anstalt ausgehen. Aber entscheidend sind ja nicht die drei Richter sondern die acht Geschworenen, was die Zurechnungsfähigkeit betrifft.

Eines fällt jedenfalls auf: Sowohl der vorsitzende Richter als auch die Staatsanwaltschaft haben schon in den ersten Prozesstagen durchklingen lassen, dass sie eher von Zurechnungsfähigkeit ausgehen. Dass der Täter uns etwas weismacht, hat da ein Staatsanwalt zum Beispiel formuliert - und das obwohl die Staatsanwaltschaft selbst in der Anklage von Unzurechnungsfähigkeit ausgegangen ist – das war wohl quasi gezwungenermaßen, weil die Mehrheit der psychiatrischen Gutachter dieser Meinung war.

Nach Auskunft der Gerichtssprecherin gehen wir Journalisten davon aus, dass es frühesten um 19 Uhr ein Urteil gibt. Es werden doch vermutlich zwei Staatsanwälte, die Verteidigerin, 5 Opferanwälte und der Angeklagte Plädoyers bzw. Schlussworte sprechen. Und dann folgt erst die Beratung der Geschworenen.