"Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre"

Heimito von Doderer

Mit Romanen wie "Die Strudlhofstiege" oder "Die Dämonen" gilt Heimito von Doderer als der Repräsentant der österreichischen Literatur der Nachkriegszeit. Heuer jährt sich sein Geburtstag zum 120., sein Todestag zum 50. Mal. Ö1 sendet zu Weihnachten die Hörspielfassung seines Romans "Die Strudlhofstiege" als dreiteilige Hörspielfassung mit Peter Matic, Joseph Lorenz, Stefano Bernardin, Peter Simonischek, Leslie Malton, Felix von Manteuffel, Brigitte Karner u. v. a. Die Musik stammt von Kurt Schwertsik.

Heimito von Doderer

Archivaufnahme Heimito von Doderers vor der Strudlhofstiege in Wien.

APA/Bundespressedienst

Der Spätzünder

Doderer, der aus vermögenden Verhältnissen stammt, ergriff nie einen "prosaischen" Brotberuf und hielt auch trotz vieler erfolgloser und schwieriger Jahre an seiner Berufung fest. Erst spät, mit 55 Jahren, durfte Heimito von Doderer, der zum bekanntesten Repräsentanten der österreichischen Literatur der Nachkriegszeit werden sollte, schließlich mit seinem Roman "Die Strudelhofstiege" (1951) den großen Erfolg erleben. Er beschreibt darin ohne eigentliche Haupthandlung Begegnungen und Gespräche zwischen den handelnden Personen innerhalb einer Zeitspanne von etwa 15 Jahren - vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Geografische Schnittstelle der Handlungsstränge ist die Wiener Strudlhofstiege, für Doderer "der eigentliche Hauptacteur" des Romans.

Es ist einer der bedeutenden Großstadtromane des 20. Jahrhunderts. Anders als Alfred Döblins "Berlin, Alexanderplatz" streicht Doderer die kontemplativen Seiten der Großstadt heraus. Sein Personal entstammt dem Adel, dem höheren Militär und wohlsituiertem Bürgertum, was auch dazu beiträgt, dass im Roman in materieller Hinsicht eine entspannte Atmosphäre herrscht.

Aus dem 900-Seiten-Roman hat der Schriftsteller Helmut Peschina eine dreiteilige Hörspielfassung erstellt. Der Prosa der Romanvorlage räumt Peschina dabei besondere Bedeutung bei und hat daher zwei Erzähler etabliert: der eine, gelesen von Burgschauspieler Peter Matic, treibt die Handlung voran, der andere, gelesen vom Burgkollegen Peter Simonischek, zeigt die Gedenkenwelt, das Innenleben der Figuren.

Eine österreichische Biografie

Fünf Jahre nach Erscheinen der "Strudlhofstiege" setzte Doderer mit seinem Hauptwerk "Die Dämonen" nach, das aufgrund seiner langen Entstehungsgeschichte, die bis weit in die Zwischenkriegszeit zurückreicht immer wieder Anlass für Diskussionen um Doderers antisemitische Haltung gab.

Franz Carl Heimito (Ritter) von Doderer wurde am 5. September 1896 als jüngstes von sechs Kindern des begüterten Wiener Architekten und Bauunternehmers Wilhelm Ritter von Doderer in Hadersdorf bei Wien geboren. Er schrieb sich nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums 1914 an der juristischen Fakultät ein. Ein Jahr später wurde er zum Militärdienst eingezogen und geriet als Kavallerist am im Juli 1916 an der russischen Front in Gefangenschaft. Vier Jahre verbrachte er in Lagern in Sibirien, wo er auch die Entscheidung fällte, Schriftsteller zu werden. Im August 1920 nach Wien zurückgekehrt, schienen ihm Geschichte und Philosophie für seinen gewählten Beruf die einzig dienlichen Studien zu sein, welche er 1925 mit dem Doktor der Philosophie abschloss.

Schon während seines Studiums wurden die ersten Bücher Doderes veröffentlicht - allerdings mit geringem Erfolg. Er hielt sich von 1926 bis 1931 mit Feuilletons in Wiener Tageszeitungen über Wasser, großen Einfluß übten während dieser Zeit Otto Weiniger und Albert Paris Gütersloh, den er 1924 kennenlernte, aus. Die Begegnung mit Gütersloh, mit dem er sich einige Zeit auch eine Wohnung teilte, fand etwa in dem Essay "Der Fall Gütersloh. Ein Schicksal und seine Deutung" (1930) Niederschlag. 1930 heiratete Doderer die aus einer jüdischen Familie stammende Gusti Hasterlik, die Ehe wurde jedoch 1938 (!) geschieden.

Am 1. April 1933 trat er der bald darauf in Österreich verbotenen nationalsozialistischen Partei bei und übersiedelte 1936 nach Dachau in Deutschland. 1937 erschien der Roman "Ein Mord, den jeder begeht", im selben Jahr distanzierte er sich vom Nationalsozialismus und konvertierte 1940 - seine Familie war evangelisch - zum Katholizismus. Doderer wurde zur Luftwaffe eingezogen und kehrte 1946 aus der britischen Kriegsgefangenschaft nach Österreich zurück. 1948-1950 besuchte er den Kurs am Institut für österreichische Geschichtsforschung. Der während des Krieges begonnene, 1948 abgeschlossenen Roman "Die Strudelhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre" begründete seinen Ruhm als Schriftsteller.

1952 heiratete Doderer Emma Maria Thoma (1896-1984). Die großen Romane "Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff" (1956) und "Die Wasserfälle von Slunj" (1963) machten Doderer als Repräsentanten der österreichischen Literatur der Nachkriegszeit bekannt. Doderer starb an einem Krebsleiden, ehe er den Roman "Der Grenzwald" - als Fragment 1967 herausgegeben - vollenden konnte.