Kunstkritiker John Berger gestorben
John Berger war ein streitbarer Intellektueller, der keiner Auseinandersetzung aus dem Weg ging, ein erfolgreicher Romanautor und er verfasste einen Sachbuch-Bestseller, der die Kunstbetrachtung revolutionierte. Jetzt ist der Brite 90-jährig in seiner Wahlheimat Frankreich gestorben.
8. April 2017, 21:58

ULF ANDERSEN / AFP / picturedesk.com
Mittagsjournal, 3.1.2017
Neue Art Kunst zu sehen
1972 sorgte ein Mann mit wildem Lockenkopf und stechendem Blick mit einer mehrteiligen BBC-Dokumentation für Aufsehen. In "Ways of Seeing" zeigte er nämlich eine neue Art Kunst zu sehen. Um klassische Ölbilder zu verstehen, meinte er damals provokant, helfe es, sie mit denselben Augen zu betrachten, wie die Werbebilder auf der Straße.
Das Leben der Bilder
Aus der TV-Dokumentation wurde ein Buch, das sich rasant zu einem internationalen Bestseller entwickelte. 1981 erschienen "Das Leben der Bilder oder die Kunst des Sehens" auf Deutsch und erklärte in einem Atemzug die Landschaftsgemälde William Turners und das Zeichentrickuniversum Walt Disneys.
Booker Prize für den Roman "G."
Berger hatte eigentlich selbst Kunst studiert, wechselte aber von der Malerei zur Schriftstellerei. Anfang der 70er-Jahre gewann er mit seinem Roman "G." über einen Don Juan, der vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs zu politischem Bewusstsein findet, überraschend den Booker Prize.
Bei der Verleihung provozierte er dann einen Skandal, weil er die Hälfte des Preisgeldes der "Black Panther"-Bewegung spendete. Die andere Hälfte verwendete der aus dem gehobenen Mittelstand stammende, politisch aber dem Marxismus nahestehende Berger, für ein Buchprojekt über Arbeitsemigranten: "A Seventh Man" bestach dabei durch seine experimentelle Form, denn Berger stellte fiktives und dokumentarisches Material nebeneinander.
Unter all seinen zahlreichen Büchern sollte "A Seventh Man" auch sein liebstes bleiben, weil es die Menschen erreichte, von denen es handelte.
Bis zuletzt aktiv
2013 erschien "Bentos Skizzenbuch", ein sehr persönliches Nachdenken über den Philosophen Baruch Spinoza, dann stellte er mit Schauspielerin Tilda Swinton einen Essay-Film über sein Leben und sein Denken fertig, der heuer auf der Berlinale präsentiert wurde, und außerdem blieb er bis zuletzt ein passionierter Motorradfahrer, denn hier kamen seine Gedanken zur Ruhe.