T. C. Boyle: Liebschaften in der Hightech-Arche
Er gilt als Popstar unter den Autoren, war einst Frontman einer Rockband und bezeichnet das Schreiben als seine Ersatzdroge. T. C. Boyle wird als Erneuerer des historischen Romans gefeiert. Viele seiner Romane gehören in den USA längst zur Schullektüre. In seinem nunmehr 16. Roman "Die Terranauten" widmet sich Boyle dem Scheitern eines großen ökologischen und sozialen Experiments.
8. April 2017, 21:58
Hanser
Morgenjournal, 10.1.2017
Arche Noah im Hightech-Gewand
Nichts rein. Nichts raus. Vier Frauen. Vier Männer. Zwei Jahre lang eingesperrt in einem riesigen Glashaus. Das einfache, dafür umso spektakuläre Setting von T. C. Boyles neuem Roman ist nicht erfunden und hat so, oder so ähnlich in den 1990er Jahren in Arizona tatsächlich stattgefunden: Mitten in der Wüste ließ der US-amerikanische Milliardär Edward Bass die so genannte "Biosphere 2" errichten.
Unter einer riesigen Glaskuppel wurde ein künstliches Ökosystem erschaffen, dass es den Menschen ermöglichen sollte, nach dem ökologischen Kollaps zu überleben. Wenn die Ressourcen eines Tages aufgebraucht sind und die Klimaerwärmung weite Teile der Erde verwüstet hat, so die Initiatoren des Projektes, sollte eine künstliche Biosphäre jener Ort sein, an dem die Vielfalt der Arten gerettet wird. Eine Arche Noah im Hightech-Gewand. T. C. Boyle ist von dem Experiment, das er medial bereits in den 1990er Jahren verfolgt hat, fasziniert.
Eine darwinistische Versuchsanordnung
"Biosphere 2", das in Boyles neuem Roman "Ecosphere 2" genannt wird, sei ein riesiges Experiment auf über einem Hektar gewesen, das 3.800 Tier- und Pflanzenarten unter einer Glasglocke versammelte habe, so T.C. Boyle. Doch was passiert, wenn der Mensch, die Krone der Schöpfung, sich selbst zum Schöpfer macht?
Ein fragiles Ökosystem hat Boyle bereits in seinem Roman "Wenn das Schlachten vorbei ist" in den Blick genommen. Schauplatz der "Terranauten" ist eine entlegene Pazifikinsel, deren Ökosystem durch vom Menschen importierte Ratten empfindlich gestört wird. Auch die ökologische Versuchsanordnung in der "Ecosphere 2" entwickelt sich zum darwinistischen Albtraum. Arten wie Kakerlaken, die eigentlich nicht in dem riesigen Terrarium sein sollten und nur durch Zufall in die "Ecosphere 2" geraten sind, gefährden das Großexperiments.
Liebe, Lust und Langeweile
In seinem Roman "Terranauten" konzentriert sich der Meistererzähler T. C. Boyle aber vor allem auf die acht Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die in dem riesigen Terrarium miteinander eingeschlossen sind. Die Geschichte wird abwechselnd aus drei verschiedenen Erzählerperspektiven geschildert, was der Spannung des Romans dient.
Zahlreiche Cliffhanger zwischen den einzelnen Erzählsträngen erhöhen das Lesevergnügen. Einerseits erzählen die Terranauten Dawn Chapman und Ramsay Roothorp von ihren Erlebnissen in der "Ecosphere 2". Andererseits werden die Vorgänge von Linda Ryu argwöhnisch beobachtet. Sie hat es nicht in die exklusive Auswahl der Terranauten geschafft und versucht, von außen Zwietracht zu säen. Denn trotz wissenschaftlichen Interesses treibt auch die Terranauten vor allem eines an: der Sex und die Liebe.
Boyle verstrickt sich in die leidenschaftliche Romanze zwischen Dawn und Ramsay, die das Experiment schließlich sogar gefährdet. Das rückt den Plot von "Terranauten" in die Nähe der Kolportageliteratur und macht ihn insgesamt etwas vorhersehbar und langweilig. Manchmal ist die Wirklichkeit eben größer als jeder Roman.
Service
T.C. Boyle, "Terranauten", Roman, aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren, Hanser
Titel der amerikanischen Originalausgabe: "The Terranauts"
T.C. Boyle