Muslimische Frauen an der Donau, Schwäne und Enten

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Tao

Der Euro-Islam - gescheitertes Konzept oder Zukunftsmodell?

Der Islam verändert Europa und Europa verändert den Islam, zumindest schrittweise. Immer mehr muslimische europäische Intellektuelle entwickeln neue Konzepte, wie sich Europa und Islam in Einklang bringen lassen – vor allem an den zahlreicher werdenden islamischen Fakultäten und Instituten an den europäischen Universitäten.

Doch die Zugänge sind vielfältig und die Meinungen gehen oft weit auseinander. Schon über die Begriffe wird hitzig debattiert: Ob von einem "Euro-Islam", einem "europäischen Islam" oder einem "Islam europäischer Prägung" die Rede sein soll, darüber scheiden sich die Geister.

Von österreichischer Seite haben unter anderen der Leiter des Instituts für islamisch-theologische Studien an der Universität Wien, Ednan Aslan, und der Soziologe, Religionspädagoge und islamische Theologe Mouhanad Khorchide Beiträge zur Debatte geliefert.

Khorchide skizziert etwa einen barmherzigen Islam, Aslan fordert eine Rückbesinnung auf die Grundsäulen der islamischen Religion, um sie von innen her zu reformieren. Immer wieder melden sich auch muslimische Feministinnen wie die deutsche Autorin und Menschenrechtsanwältin Seyran Ateş oder die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi zu Wort.

Für viele von ihnen steht fest: Für die Etablierung einer glaubwürdigen, europäischen Form des Islams wird man sich an die Glaubensgrundlagen heranwagen müssen. Und: Keines dieser Konzepte kann für das Gros der Musliminnen und Muslime glaubwürdig sein, wenn es nicht auch theologisch begründet ist.

Der Soziologe, Religionspädagoge und islamische Theologe Mouhanad Khorchide skiziiert die Grundzüge eines modernen europäischen Islams.

Die größten Baustellen, die laut Reformerinnen und Reformern bearbeitet werden müssen:

  • Neues Koranverständnis
  • Abkehr vom exklusiven Wahrheitsanspruch
  • Bekenntnis zu Säkularität und Demokratie
  • Gleichberechtigung von Frauen und Männern

Mann liest im Koran

AFP/BORYANA KATSAROVA

Neues Koranverständnis

Viele Musliminnen und Muslime neigen laut Mouhanad Khorchide immer noch dazu, den Koran wortwörtlich zu lesen; sie hätten ein literalistisches Verständnis des Korans. Man müsse dieses "heilige Buch" und seine Verkündigung aber in seinem historischen Kontext im siebenten Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel verorten. Wenn etwa zu lesen sei "Tötet Nicht-Muslime!", dann sei das keine an Gläubige im 21. Jahrhundert gerichtete Aufforderung, sondern ein Kommentar zu einer Situation in einer bestimmten kriegerischen Auseinandersetzung, so der Leiter des Zentrums für islamische Theologie an der Universität Münster. Durch die historische Lesart des Korans und der Prophetentradition (der sogenannten Sunna) könne man Gewaltpotenziale entschärfen. Und das habe nichts mit willkürlichem Selektieren zu tun.

Der Leiter des Zentrums für islamische Theologe an der Universität Münster Mouhanad Khorchide über eine neue Form der Auslegung des Korans

Abkehr vom exklusiven Wahrheitsanspruch

In einer pluralistischen Gesellschaft müssten auch andere Wahrheitsansprüche toleriert werden, sagt der Leiter des neu geschaffenen Instituts für islamisch-theologische Studien an der Universität Wien, Ednan Aslan. Musliminnen und Muslimen sei geraten, ihren nicht-muslimischen Mitmenschen, ob religiös oder nicht, auf Augenhöhe zu begegnen. Die Überheblichkeit, die da und dort noch anzutreffen sei, die den Islam über alle Religionen und Weltanschauungen stelle, gelte es abzulegen, so Aslan.

Bekenntnis zu Säkularität und Demokratie

Die Reformerinnen und Reformer fordern dringend ein islamisches Bekenntnis zur Säkularität ein, zur Trennung von Staat respektive Politik und Religion. Jene Teile der Religion, die sich insbesondere in der sogenannten Scharia wiederfinden und die auf ein eigenes Rechtssystem abzielen, seien im Grunde zu verwerfen. Die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie müsse und könne auch theologisch begründet werden, meint die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi von der Universität Paderborn. Es sei nur ein – unter Muslimen wie Nicht-Muslimen – weit verbreitetes Vorurteil, dass der Islam mit Demokratie und Säkularität nicht vereinbar sei, weil auch schon Muhamad Prophet und zugleich Staatsmann gewesen sei.

Doch genau genommen, gebe der Islam keine spezifische Staatsform vor, so Mohagheghi. Er zeige nur auf, nach welchen Prinzipien das Zusammenleben der Menschen geregelt sein sollte: Frieden und Gerechtigkeit. Viele islamische Gelehrte seien heute zu dem Schluss gekommen, dass die Demokratie heute die Staatsform sei, die das am besten gewährleisten könne und deshalb könnten Musliminnen und Muslime Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Säkularität auf jeden Fall bejahen.

Gleichberechtigung von Frauen und Männern

Immer noch existieren laut Mohagheghi - auch im Mainstream der Muslime - veraltete Familienmodelle und religiös begründete Vorstellungen, wonach Frauen sich Männern unterordnen müssten. Doch viele Positionen in Koran und Prophetentradition Sunna seien patriarchalisch geprägt und könnten im 21. Jahrhundert nicht mehr gelten. Manches, was heute schlicht und einfach ungerecht sei, müsse man verwerfen, so die Expertinnen und Experten.

Mouhanad Khorchide

AP/DAPD/VOLKER HARTMANN

Mouhanad Khorchide

Die Berliner Menschenrechtsanwältin und gläubige Muslimin Seyran Ateş wird Mitte Juni eine Moschee eröffnen, in der Frauen und Männer im selben Raum, nebeneinander beten. Sie selbst, die kein Kopftuch trägt, wird dort als Imamin vorbeten.

Die Entwicklung eines europäischen Islams sei dringend notwendig, meint Mouhanad Khorchide, nämlich auch als Rezept gegen Radikalisierung. Muslimische Jugendliche erleben laut Khorchide nur diese beiden Extreme: Entweder du passt dich ganz an und verwirfst deine Religion, oder du lebst deine Religion fundamentalistisch und grenzt dich von der europäischen Gesellschaft ab. Ein europäischer Islam, der ihre Lebensrealität berücksichtigt, könne ihnen das Leben und das Finden einer europäisch-muslimischen Identität erleichtern.

Mitunter auch mit staatlicher Unterstützung gelinge es immer besser, Reformversuche zu institutionalisieren, zum Beispiel in Form von islamisch-theologischen Universitätsinstituten. Nur so könnten diese neuen geistigen Schulen des Islams Mainstream werden. Andernfalls blieben alle Reformansätze Selbstgespräche, so der Tenor.

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