Javier del Real
Zu viel Leidenschaft
Das RSO Wien mit Anne Schwanewilms
Nach der viel gelobten Wagner-CD, die das RSO Wien und Chefdirigent Cornelius Meister mit der deutschen Sopranistin Anne Schwanewilms aufgenommen haben, steht im Wiener Musikverein Alban Bergs Konzertarie "Der Wein" im Fokus.
30. Juni 2017, 02:00
Das Ö1 Konzert
RSO Wien/Meister/Schwanewilms 16 06 2017
Dvoraks Rückkehr aus Amerika
Am Ende seines Lebens, zurückgekehrt vom ebenso erfolg- wie ertragreichen Aufenthalt in den USA, vertonte Antonin Dvorak vier grausame Geschichten. Als sei ihm jenseits des Atlantiks der Schreck in die Glieder gefahren. Dabei untermauerten die letzten vier Symphonischen Dichtungen lediglich die Rückkehr in die böhmische Heimat, denn die Vorlagen stammen aus der Balladensammlung "Kytice" (Blumenstrauß) des tschechischen Dichters Karel Jaromir Erben.
Dass die Balladen des 19. Jahrhunderts nichts für Zartbesaitete sind, beweist auch die letzte dieser vier Symphonischen Dichtungen, "Die Waldtaube" (1896). Eine Giftmischerin, die sich ihres Gatten entledigt und anschließend aufs Neue geheiratet hat, wird am Grab des Ermordeten durch das Gurren einer Waldtaube an die eigene Untat erinnert. Fortan quält sie der kluge Vogel, bis sie sich selbstmörderisch in die Fluten wirft. Dvoraks leidenschaftliche Vertonung wurde von Leos Janacek in Brno uraufgeführt und noch vor der Jahrtausendwende von Hofoperndirektor Gustav Mahler höchstselbst in Wien präsentiert.
Programm
Joseph Haydn: Symphonie f-Moll Hob. I/49, "La Passione" | Alban Berg: "Der Wein", Konzertarie Antonin Dvorak: "Holoubek" ("Die Waldtaube"), Symphonische Dichtung c-Moll op. 110 | Béla Bartok: "Kossuth", Symphonisches Gedicht für großes Orchester Sz 21. Aufgenommen am 13. Juni im Großen Musikvereinssaal in Wien
Mit der "Waldtaube" setzen Chefdirigent Cornelius Meister und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien ihren Zyklus mit Dvoraks schauerromantischen Tondichtungen fort. Für das 5. Abonnementskonzert im Musikverein hat Cornelius Meister Anne Schwanewilms eingeladen.
Die Sopranistin ist als Strauss- und Wagner-Interpretin weltweit gefragt und hat an allen großen Opernhäusern gearbeitet. Legendär ist ihre Kaiserin in "Die Frau ohne Schatten"; die Produktion der Salzburger Festspiele, dirigiert von Christian Thielemann, wurde auf CD und DVD festgehalten und setzte Maßstäbe. Auch mit dem RSO Wien und Cornelius Meister entstand eine CD, auf der Anne Schwanewilms "Tristan und Isolde", "Tannhäuser" sowie Wagners "Wesendonck-Lieder" singt.
Eines von Bergs letzten Werken
Im Musikverein steht Alban Bergs Konzertarie "Der Wein" auf dem Programm: eines seiner letzten Werke, für dessen Komposition er 1929 die Arbeit an der Oper "Lulu" unterbrach. Mit seiner Zwölftonreihe für die "Wein"-Arie öffnete sich Berg den Einflüssen seiner Zeit: Sie umfasst nicht nur eine d-Moll-Skala, sondern auch einen Jazzakkord, den Berg in der Folge reichlich nutzte, so zum Beispiel für eine kurze Tango-Parodie. So konnte Berg drei Gedichte aus Baudelaires Gedichtsammlung "Les Fleurs du Mal" (Die Blumen des Bösen) streng und zugleich geschmeidig vertonen.
Bartoks Jugendwerk "Kossuth"
Ein Jugendwerk von Bartók beschließt das Konzert. Bartók war 22, als er mit seiner Symphonischen Dichtung "Kossuth" dem Politiker Lajos Kossuth, Held der Ungarischen Revolution von 1848, ein Denkmal setzte. Bereits als junger Musikstudent in Budapest hatte sich Bartók für Richard Strauss begeistert und einen Klavierauszug von "Ein Heldenleben" angefertigt.
Als er 1902 bei der Budapester Erstaufführung von "Also sprach Zarathustra" den Komponisten persönlich traf, war die patriotische Tondichtung beschlossene Sache. Obwohl Österreich in Bartóks Orchesterwerk nicht eben gut wegkommt - Lajos Kossuth wollte seine Heimat in die Unabhängigkeit von Österreich führen - und immer wieder sarkastisch die Hymne "Gott erhalte Franz den Kaiser" zitiert wird, beendete Bartók das Werk nicht in seiner Heimat, sondern in Gmunden.
Haydns einzige Symphonie in f-Moll
Eine weitere, wenn man so will, österreichisch-ungarische Komposition rundet das Programm des RSO Wien ab: Haydns 49. Symphonie, entstanden 1768 für den Fürsten Esterházy in Eisenstadt. Es ist Haydns einzige Symphonie in f-Moll, und sie beginnt, ungewöhnlich genug, mit einem langsamen Satz. Haydn-Liebhaber verehren sie für ihre Dramatik und haben ihr einen Beinamen verpasst, der auf etwas verweist, von dem die schuldhafte Heldin in Dvoraks "Waldtaube" zu viel haben dürfte: "La Passione".
Text: Christoph Becher, Intendant des RSO Wien