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Doublecheck

Wie Algorithmen den Journalismus verändern

Der Trend zu personalisierten Nachrichten hat den Journalismus schon längst erreicht. In Österreich arbeitet "Der Standard" an einem News-Algorithmus. Ein Vorbild für die neue Online-Strategie ist das Erfolgsmodell der schwedischen Tageszeitung "Svenska Dagbladet". Doch die Daten-Orientierung birgt auch Gefahren.

Weil die Zeitung massiv Leser verloren hat, hat Chefredakteur Fredric Karen den Spieß umgedreht. Eigentlich war es seit jeher Usus bei Zeitungen, dass das, was in der Print-Ausgabe steht, entscheidet, was auch online prominent erscheint. Beim schwedischen "Svenska Dagbladet" bestimmt jedoch die Online-Strategie, was in der Zeitung abgedruckt wird.

Damit hat sich auch die Rolle der Redakteure geändert. Nachdem sie ihre Artikel geschrieben haben, müssen sie angeben, wie relevant dieser ist und wie lange er das bleiben wird. Dafür vergeben sie Punkte. So bekommt zum Beispiel eine Analyse über eine Terrorattacke in Stockholm die Maximalpunktezahl und wird länger und prominenter angezeigt, als eine Geschichte über einen Autounfall, die schneller wieder von der Seite verschwindet. "Wir arbeiten mit einem sogenannten Redakteur-geleiteten News-Algorithmus. Durch den Nachrichtenwert und die Aktualität wird bestimmt, an welcher Stelle ein Artikel platziert wird", erklärt Chefredakteur Fredric Karen.

Onlinestrategie hat Zeitung vor Einstellung gerettet

Fredric Karen ist davon überzeugt, dass die Zeitung auf diese Weise besser geworden ist. Sie habe nicht nur relevantere Inhalte und sei schneller als früher, sondern es sei auch mehr Zeit für investigative Recherchen.

Der Erfolg drückt sich auch in Zahlen aus. Dank der Veränderungen konnten mehr Abos verkauft werden, der Gewinn vor Steuern habe sich versiebenfacht. Karen sagt, die Onlinestrategie habe der Zeitung das Überleben gesichert, dennoch wolle man die Zeitung nicht aufgeben. Immerhin: "Die Zeitung ist wichtig, um traditionelle Print-Leser ins Web zu holen. Sie ist eine Art Brücke", sagt Chefredakteur Karen.

Personalisierte Nachrichten

Künftig will die Zeitung noch einen Schritt weiter gehen und ihren Lesen auch personalisierte Nachrichten zeigen. Eine Software lernt, was Kunden gerne lesen und zeigt mehr davon an. Aber es gibt Grenzen, sagt Karen. "Ich persönlich glaube, dass man nicht alles personalisieren kann. Man braucht eine eigene Linie und Geschichten, auf die man als Herausgeber besteht. Als Herausgeber muss man Stellung beziehen."

Das Verlagshaus "Schibsted", zu der die Zeitung gehört, hat mehrere 10 Millionen Euro in Technologie gesteckt. Daten-Know-how ist für Fredric Karen entscheidend. "Wer als Herausgeber etwas zählen möchte und gegen die alte und neue Konkurrenz wie Facebook und Google bestehen will, muss auf Daten setzen und in Technologie investieren", sagt Karen.

Journalismus als Service

Parallel läuft in der schwedischen Redaktion des "Svenska Dagbladet" noch eine andere Entwicklung. Die Redaktion arbeitet eng mit der Anzeigen- und Abonnenten-Abteilung zusammen. Das war bisher ein journalistisches No-Go. Es soll zwar keinen Einfluss geben, welche Inhalte gebracht werden - aber man misst genau, welche Inhalte in welcher Aufmachung funktionieren und was nicht funktioniert.

In Großbritannien experimentieren bereits viele Zeitungen auf diese Weise. Personalisierte Nachrichten und "Online-First" machen fast alle, sagt Charlie Beckett, Leiter des Medien-Think-Tank Polis an der London School of Economics. Er ortet unterschiedliche Strategien bei den Verlagshäusern. Die "Financial Times", die ohnehin eine sehr spezielle Zielgruppe hat, könne stärker auf personalisierten Inhalt setzen als eine reguläre Tageszeitung wie "The Guardian". Jedes Medium müsse sich gut überlegen, welchen Mehrwert es bieten kann. Um dafür Ressourcen zu haben, kann die Hilfe von Algorithmen nützlich sein.

"Zeitungen werden in Zukunft weniger Geschichten veröffentlichen, aber diese müssen besser sein", glaubt Beckett. Dahinter steckt der Branchenbegriff "Software as a Service". Es geht darum, Kunden nicht nur ein Abo zu verkaufen, sondern laufend Leistungen anzubieten, für die sie zahlen, seien es eine Mitgliedschaft oder Dating Services. "Ob das funktioniert, wissen wir nicht. Britische Medien leiden unter einem Rückgang der Werbeeinnahmen, aber haben gleichzeitig mehr Abonnenten aus ihren digitalen Ablegern", so Beckett.

Gefahr Daten-Orientierung

Beckett warnt zugleich davor, sich nur an schnellen Clicks zu orientieren. Die Personalisierung und die Konzentration auf Daten bergen Gefahren. "Es könnte zu mehr Filterblasen führen. Wenn Leser nur noch das konsumieren, was ihre bereits vorhandenen Meinungen bestätigt, kann das in einer eingeschränkten Weltsicht enden."

Medien müssen demnach bei der Auswahl der Nachrichten eine gesunde Mischung finden. Dass durch plumpe Headlines um jeden Preis Clicks generiert werden, diese Gefahr besteht, sagt Beckett. Und da stünden Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.

Dennoch zeigt sich Charlie Beckett zweckoptimistisch. Medien hätten zwar noch viel zu lernen, aber dumme Geschichten und - wie er sagt - faulen Journalismus gebe es im Netz genug. Wer überleben wolle, müsse Mehrwert und Qualität bieten, sagt Beckett. Die Datenorientierung und Personalisierung könne eine Chance für viele Medien sein, ihren Journalismus besser und interessanter zu machen.

Gestaltung

  • Rosanna Atzara

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