ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Eine Stadt. Ein Buch
"Letzte Nacht" - Roman von Stewart O'Nan
Seit 2002 gibt es in Wien die Gratisbuchaktion "Eine Stadt. Ein Buch". Heuer hat man den US-Amerikaner Stewart O'Nan mit seinem Roman "Letzte Nacht" nach Wien geholt. Ursprünglich 2007 und damit am Vorabend der Finanzkrise erschienen, erzählt der Roman vom Verschwinden einer ganz besonderen kleinen Welt.
10. Dezember 2017, 02:00
Morgenjournal | 09 11 2017
Wolfgang Popp
Kenne deine Figuren wie dich selbst
Er liest gerne Bücher aus allen Genres, warum sollte er da nicht auch in seinem Schreiben die Genres wechseln. Sagt Stewart O'Nan und ein Blick auf sein mittlerweile siebzehn Romane umfassendes Werk zeigt, was er meint. Da gibt es Thriller, Familienromane und Ehedramen, einen Spionagekrimi und dann eben auch diese Geschichte einer einzigen Winternacht, die gleichzeitig die letzte Nacht einer Red-Lobster-Filiale ist, erzählt aus der Perspektive des Filialleiters.
Stewart O'Nan: "Ich bin einfach in ein Red-Lobster-Restaurant gegangen und habe dort meine Fragen gestellt. Sobald ich erzählt habe, dass ich Schriftsteller bin und die Informationen für mein neues Buch brauche, waren die Leute interessiert und haben mir oft mehr erzählt, als sie sollten. Ich habe mit einigen Restaurant-Managern in verschiedenen Lobster-Filialen gesprochen bis ich einen Begriff von ihrer Arbeit hatte. Ich muss einfach genauso viel wissen wie meine Hauptfigur, nicht mehr und nicht weniger."
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
100.000 Gratisexemplare von Stewart O'Nans Roman werden ab Freitag in ganz Wien verteilt; ab 19.30 Uhr findet in der Wien Energie-Welt Spittelau eine Diskussion mit dem 56-jährigen Autor statt.
Liebe auf den letzten Blick
Für Manny ist es nicht nur die letzte Nacht in seinem Restaurant, sondern auch die letzte Nacht mit seiner Ex-Freundin Jacquie, die als Kellnerin im Red Lobster arbeitet. Eine zarte Melancholie zieht sich so durch den Roman und eine Liebe auf den letzten Blick zu einem im Verschwinden begriffenen Ort. Ursprünglich 2007 erschienen, wirkt der Roman heute aber auch wie ein hellseherischer Blick auf die bald darauf einsetzende Finanzkrise.
Lag da schon etwas in der Luft oder war das ganz einfach ein Zufall? Stewart O'Nan: "Nein, das war kein Zufall. Damals kürzten viele Unternehmen die Gehälter oder schlossen Filialen, damit die Aktionäre größere Gewinne einstreifen konnten. Darum geht es doch immer: Angestellte loszuwerden, damit der Aktienkurs steigt. Seit Mitte der 90er Jahre gibt es diese Philosophie, die Gewinne an die Aktionäre und Manager auszuzahlen, während diejenigen, die die eigentliche physische Arbeit verrichten leer ausgehen.
Vorwärts in die Vergangenheit
Zuletzt noch die Frage, der mit dem gestrigen Jahrestag der Präsidentschaftswahlen kein US-Amerikaner entgeht. Wohin steuert ihr Mr. President? Stewart O'Nan: "Donald Trump will, dass Amerika wieder so wird wie in den 80er Jahren. So wie damals Ronald Reagan in die 50er Jahre zurückwollte. Da gibt es also diese Nostalgie für vergangene Zeiten, die aber jeglicher realistischer Grundlage entbehrt. Da werden einfach beliebig ein paar Dinge herausgepflückt, die an der damaligen Zeit gut waren. Also mir persönlich fällt nicht allzu viel Großartiges zu den 80ern ein: Damals haben wir lange Jahre Aids ignoriert, damals haben wir geglaubt, dass die Wall Street alle unsere Probleme lösen wird, und dass sich die Reichen um Jobs für die Bevölkerung kümmern würden. Also wie das große Vorzeigejahrzehnt kommen mir die 80er nicht vor."
Ab heute werden die 100.000 Gratisexemplare von Stewart O'Nans Roman "Letzte Nacht" in ganz Wien verteilt. Ein Diskussionsabend mit dem Schriftsteller findet morgen in der Wien Energie-Welt statt. Kostenlose Karten dafür gibt es im dortigen Shop so lange der Vorrat reicht.
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Buch Wien 8. Bis 12. November 2017