Filmladen Filmverleih
Prämierter Film
"The Square" von Ruben Östlund
Wegschauen oder Handeln? Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts aber auch die Oberflächlichkeit des modernen Kunstbetriebes sind Thema des Films "The Square", der heuer in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Der Streifen des schwedischen Regisseur Ruben Östlund kommt diese Woche ins Kino.
15. Dezember 2017, 02:00
Kulturjournal | 14 11
Ruben Östlund im Gespräch über zeitgenössische Kunst, gesellschaftliche Verantwortung und Provokation
"You have nothing" steht in großen weißen Neon-Lettern hinter dem schicken Museumskurator Christian. Du hast nichts. Dabei hat er alles: Ein Museum in Stockholm als avantgardistisches Spielfeld, zwei kleine Kinder, flüchtige Affären, das neueste Handy und das geräuschlose Luxus E-Auto als Statussymbol der aufgeklärt nachhaltigen westlichen Elite.
Doch die Oberfläche funkelt nicht nur, sie bekommt auch schnell Kratzer. Als Christian sein Handy, seine Uhr und seine Manschettenknöpfe gestohlen werden, setzt sich eine Spirale des Kontrollverlusts in Bewegung, die den smarten Kunstmanager in arge Bedrängnis bringt.
Mehr dazu in: ORF.at - Korrektheit als Stolperfalle
Natürlich ist der moderne Kunstbetrieb mit seiner kodierten Sprache, die am Ende oft elegant ins Nichts führt leichte Beute für filmische Häme. Er ist aber auch eine ideale Leinwand, um das Bild, das sich die westliche Gesellschaft von sich selbst macht, zu dechiffrieren. "Die zeitgenössische Kunst ist für mich weitgehend ohne Bedeutung", sagt Regisseur Östlund. "Sie wurde zum Ritual, zur Konvention, die sich beständig selbst wiederholt." Viel theorieschwangerer Lärm also um Nichts.
Gesellschaftliche Utopie
In seinem Film ist The Square eine quadratische Installation - eine gesellschaftliche Utopie. Wie ein Zebrastreifen, der als gesellschaftliche Übereinkunft fungiert und Fußgänger besonders schützt, soll auch innerhalb des Square absoluter gegenseitiger Respekt garantiert werden. Als sich nach einer viralen Marketingkampagne eine medial befeuerte Posse rund um diesen Square entspinnt, zeigt sich aber sehr drastisch, wie schnell die Glasur der liberalen Aufgeschlossenheit schmilzt.
Filmladen Filmverleih
Östlund nähert sich seinem Thema wie ein voyeuristischer Naturfilmer, der die Widersprüche der Spezies Mensch seziert. Mit ruhigem Blick und in Bildern, die Raum zum Denken lassen, zeigt er den Zusammenprall zwischen Inszenierung und Realverfassung. Zwischen dem distinguierten Selbstanspruch des weltgewandten Kurators Christian und seinen schnöden wie essentiellen Alltagsdefiziten. Östlund nimmt sich Zeit und zeigt auch die kleinen verzwickten Momente, die den großen gerne vorangehen, mit viel Atmosphäre und Liebe zum Detail. Die Böden knarzen, die Uhren ticken und der Verkehr summt wie ein Drohnenschwarm. Dabei blickt er seinen Protagonisten stets ebenso schonungslos wie nüchtern mitten ins Gesicht.
Schaulust vs. Solidarität
Als ein Performance-Künstler als Affe die abendliche Gala-Gesellschaft im Museum vor den Kopf stößt, kaschiert zuerst heitere Verwunderung die spürbare Ratlosigkeit. Als der Affe dann aber eine junge Frau physisch attackiert fehlen Verantwortungsbewusstsein und Solidarität - bis sich die zuvor gelähmt Schaulustigen in einen rachsüchtigen Mob verwandeln. Die Szene verstört.
Doch auch im wahren Leben gibt es eben nur wenige Helden, sagt Ruben Östlund. "Wir sind im Kino an heroische Porträts gewöhnt. Stets ist der Protagonist der Held, der das Richtige tut. Wir sind an Kriegshelden gewöhnt, oder an Menschen, die sich für ihre Familie oder ihr Land aufopfern. Wenn man sich aber die Statistiken ansieht und unser Verhalten analysiert, dann merkt man schnell, dass die wenigsten von uns tatsächlich Helden sind."
"The Square" ist Kapitalismuskritik und Psychogramm in einem. Ein Film wie eine Therapiesitzung für die identitätssuchende westliche Gesellschaft. Wie wollen wir zusammenleben? Was ist heute Gesellschaft und wie verhält sich oberflächlicher Luxus zu Basisgrößen wie Nächstenliebe? Darum geht es in The Square. Ruben Östlund provoziert. Er verzichtet aber auf moralische Obertöne und hält so nicht nur der Kunstwelt erbarmungslos den Spiegel vor.
Service
IMDb - Ruben Östlund