Norbert Gstrein

GUSTAV ECKART

Klima, Flüchtlinge und Ehekrise

"Die kommenden Jahre" von Norbert Gstrein

Die Frage nach der Wahrheit und die Übertragung von Realität in die Literatur - das ist ein Leitmotiv der literarischen Arbeit von Norbert Gstrein. Komplexe Fragen von Identität, Geschichte und Schuld hat der in Hamburg lebende Tiroler in seinen Romanen vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts oder des Krieges in Ex-Jugoslawien abgehandelt. Um brisante Themen geht es jetzt auch in "Die kommenden Jahre": Um Klimawandel, das Flüchtlingsthema und nicht zuletzt um eine Ehekrise.

Morgenjournal | 12 04 2018

Kristina Pfoser

Kulturjournal | 12 04 | Interview

Heute Abend stellt Norbert Gstrein seinen neuen Roman in Wiener Alten Schmiede vor und am kommenden Wochenende beim Festival Literatur und Wein in der Wachau.

Wie spricht man über die "Flüchtlingskrise"?

Nahe am Zeitgeschehen hat Norbert Gstrein auch seinen jüngsten Roman angesiedelt, anno 2016, im Jahr, als die so genannte Flüchtlingskrise Deutschland veränderte. Seine beiden Protagonisten, ein Gletscherforscher und eine erfolgreiche Schriftstellerin, könnten gegensätzlicher nicht sein. Das wird umso deutlicher, nachdem eine syrische Familie in ihrem Hamburger Wochenendhaus einzieht.

Richard, ein Zweifler und Skeptiker, ist misstrauisch, seine Frau Natascha, voller Empathie und Hingabe, geht ihm mit ihrem Engagement für die Flüchtlinge auf die Nerven. Am Anfang stand für Norbert Gstrein die Frage: In welcher Weise könne man der Diskussion um die sogenannte "Flüchtlingskrise" in Deutschland gerecht werden? "Wie ist ein Sprechen darüber ohne den unguten rechten Spin und auch ohne den linken Spin möglich?"

Wenn es nur so einfach wäre

"Wenn es nur so einfach wäre" - das war vor kurzem der Titel eines Essay von Norbert Gstrein in der "Neuen Zürcher Zeitung", ein Essay über die Übertragung von Realität in die Literatur und über "aggressiv auftretende Moral", den man auch als Begleittext zu dem Roman lesen kann.

"Wenn man über Literatur und über Politik redet, redet man über Moral. Am Beginn und am Ende. Und dazwischen sollte man die Dinge sich bewegen lassen, Argument und Gegenargument. Und nicht mit einer moralischen und manchmal nur moralisierenden Position hineingrätschen, die immer Recht hat und weil sie immer Recht hat, auch jede Diskussion aufkündigt", sagt Norbert Gstrein. Und in seinem Essay schreibt er:

Weniger moralische Gewissheit würde manchmal der Moral eine größere Chance geben, und das ist dann nichts anderes als die Stunde der Literatur.

Ein offener Diskussionsraum

Eine der impliziten Aufgaben von Literatur sei es, den Diskussionsraum offen zu halten. Und dazu ist dieser Romanist ein meisterhaftes Lehrstück. Hier geht es nicht um "Die ganze Wahrheit", vielmehr gelingt es Norbert Gstrein mit dieser Versuchsanordnung, verschiedene Reaktionsmuster auszuloten.

"Die kommenden Jahre" ist nicht zuletzt auch ein Plädoyer für Skepsis. Am Schluss stehen drei Varianten eines letzten Kapitels, drei offene Enden und jenseits aller Festlegungen weiß dieser Roman restlos zu überzeugen. Eine intensive Geschichte, die lange nachhallt.

Service

Norbert Gstrein, "Die kommenden Jahre", Roman, Hanser
Alte Schmiede Wien
Literatur & Wein von 12. - 15. April in der Wachau

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