Norbert Gstrein: "In der freien Welt"
"Ein Erzähl-Requiem im Cinemascope-Format" - so nennt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" Norbert Gstreins 500 Seiten starken neuen Roman "In der freien Welt". Der in Hamburg lebende Tiroler beschäftigt sich darin einmal mehr mit einem konfliktträchtigen Stoff - dieses Mal ist es der Israel-Palästina-Konflikt, den Gstrein von beiden Seiten beleuchten möchte.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 24.2.2016
Norbert Gstrein, 1961 in Tirol geboren und seit vielen Jahren in Hamburg lebend, hat schon über den Balkankrieg und das Ende des Kommunismus geschrieben: Bücher, die zeigen, wie Geschichte und Politik den Lebensweg eines Menschen beeinflussen, ja verändern. In seinem neuen Roman "In der freien Welt" widmet er sich diesem Thema vielleicht am radikalsten, denn es geht auch um den unlösbaren Konflikt zwischen Juden und Palästinensern. Und deshalb verlässt er hier die Fiktion, das romanhafte. Jene Teile die in Israel spielen, spielen in der Realität des Jahres 2014.
Geheimnisvoller und unfassbarer John
"In der freien Welt" ist ein vielschichtiges Buch. Es handelt vom Ich-Erzähler Hugo, einen österreichischen Schriftsteller, und von John, einem amerikanischen Juden und Hugos fast lebenslangen Freund, der auf offener Straße in San Francisco ermordet wurde. Hugo ist fassungslos und beginnt Johns Leben nachzuspüren. Doch dieser erweist sich, je mehr Hugo von ihm erfährt, als zunehmend geheimnisvoller und unfassbarer. Wer war er, dieser glühende Zionist, dieser Poet, Frauenheld und Maler? Und warum musste er wirklich sterben? Gstrein verweigert dem Leser die Auflösung dieses scheinbaren Krimis - er dient ohnehin nur als Folie für die Einsicht, dass jeder jedem ein Fremder bleiben wird.
"Es gibt keine Wiedergutmachung"
"Dieser John ist eine hochproblematische Figur: ein jüdischer Amerikaner, der nicht unsere Wunschklischees erfüllt (…), der lässt sich nicht umarmen", so der Autor. "Eine der versteckten Grundthesen des Romans ist: Es gibt keine Wiedergutmachung; was auch immer wir tun, es ist gut, dass wir es tun - in Annäherung zu den ehemaligen Opfern und ihren Nachkommen. Aber solche Worte wie Wiedergutmachung sind Worte, die vollkommen falsch sind, die kann es nicht geben."
Norbert Gstrein ist ein großer Erzähler, der den Leser souverän durch ein Gewirr von Nebenschauplätzen führt und der sich auch diverse humorvolle Seitenhiebe - etwa auf den österreichischen Literaturbetrieb - nicht verkneift. Allein: ein bisschen sehr kühl und distanziert ist "In der freien Welt" schon geraten.
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Norbert Gstrein, "In der freien Welt", Hanser