Nebel über Wolkenkratzer

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Medienenquete

Das große Palaver vor der Nebelwand

Ein halbes Jahr nach dem Amtsantritt lädt Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) am 7. und 8. Juni zur Medienenquete in Wien. Die Erwartungen sind hoch, Blümel ist seit einiger Zeit bemüht, sie zu dämpfen. Der Anstoß für eine sachpolitische Debatte werde das sein, nicht mehr. Politische Gegner und Beobachter aus der Medienbranche nehmen dem Minister das nicht ab, sie vermuten eine Vernebelungstaktik.

Der Punkt ist: Blümel geht in diese Enquete, ohne eigene Konzepte vorzulegen, die man bei der Veranstaltung im Wiener Museumsquartier diskutieren könnte. Dabei liegen für bestimmte Vorhaben, etwa zur Reform der Presseförderung und deren längst fälligen Ausbau zu einer Qualitäts-Medienförderung, fertige Konzepte vor. Darauf weist auch Andreas Koller von den Salzburger Nachrichten hin: "Das ist ungefähr so, als würde man bei der Sozialversicherungsreform diskutieren, was eine Krankheit ist. Der Minister geht drei Schritte zurück, statt dass er zwei Schritte nach vorne macht."

Die hochgeschraubten Erwartungen

Und das mit aller Konsequenz: Seit Jänner trommelt Blümel seine Idee von der Medienenquete, jede Frage nach konkreten Plänen zur Medienpolitik hat der zuständige Minister und Vertraute von Bundeskanzer Sebastian Kurz mit einem Verweis auf die Enquete beantwortet. In vielen Interviews – auch mit #doublecheck – gleich mehrmals. Das hat die Erwartungen der Branche in lichte Höhen geschraubt, Blümel ist neuerdings bemüht, die Bedeutung des Ereignisses wieder zu dämpfen.

Gernot Blümel

Gernot Blümel

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Geht es Blümel nur um Zeitgewinn?

Entstanden ist jedenfalls eine Nebelwand – und manche Beobachter meinen: mit Absicht. Die Vermutungen gehen in mehrere Richtungen. Blümel setze auf Zeitgewinn, um dem Koalitionspartner mit seinen zum Teil drastischen Forderungen - vor allem gegenüber dem ORF - Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Freiheitlichen werden mit wachsender Regierungserfahrung in Medienfragen pragmatischer und zugänglicher, könnte das Kalkül lauten. Eine andere These vertritt SPÖ-Mediensprecher Thomas Drozda, der Vorgänger in Blümels Ministeramt.

"Alles in Nebenabsprachen ausgedealt"

Drozda sagt: "Jetzt kommt die Medienenquete, und dann wird die Regierung nach und nach mit dem herauskommen, was sie immer vorhatte und was sie vor einem halben Jahr schriftlich paktiert hat." Also Nebenabsprachen zum Koalitionspakt? Das wird keiner der Beteiligten zugeben, aber - wie nicht nur Drozda weiß - das ist natürlich üblich. Die jüngste Besetzung von Spitzenjobs in der Fernsehinformation nährt den Verdacht auf solche Nebenabsprachen. Die FPÖ soll auf dem Aus für ZIB-Chefredakteur Fritz Dittlbacher bestanden haben, ORF-Chef Alexander Wrabetz hat in dem Zusammenhang von "Empfehlungen" aus den ORF-Gremien gesprochen – in denen, wie man weiß, die parteipolitisch geprägten Freundeskreise das Sagen haben.

Erste Gesetzesentwürfe noch heuer

Von FPÖ-Seite gibt es auch längst Vorarbeiten für ein neues ORF-Gesetz, wenn man früheren Aussagen des Vorsitzenden des Stiftungsrats, Norbert Steger, folgt. Die ÖVP hält sich da bedeckt, Minister Blümel sagt nur: "Ich gehe schon davon aus, dass der eine oder andere Gesetzesentwurf bereits noch in diesem Jahr erfolgen könnte." Dass er bereits Entwürfe in der Schublade habe, hat Blümel aber stets in Abrede gestellt. Eben deshalb, weil er die Ergebnisse der Enquete abwarten wolle.

Der verräterische Schuhlöffel-Sager

Für den Medienwissenschafter Heinz Wittenbrink vom Joanneum in Graz ist noch etwas offensichtlich in Zusammenhang mit dieser Medienenquete und Aussagen des Ministers zur Rolle des ORF: "Allein die Formulierung von Herrn Blümel, dass der ORF den Schuhlöffel für die Privaten spielen soll – die zeigt deutlich, dass Geld umgeleitet werden soll. Dass man den ORF als Vertriebskanal, zum Teil auch als Produktionstool für die anderen Sender verwenden will."

Der ORF positioniert sich als "Motor"

ORF-Chef Wrabetz zeigt sich trotz solcher Befürchtungen kooperativ, spricht aber anders als Blümel ausdrücklich vom ORF als "Motor", nicht als "Schuhlöffel". Und Wrabetz positioniert den ORF jetzt rechtzeitig zur Enquete auch klar. Seit einer Woche läuft eine Publikumsbefragung des ORF mit Claudia Reiterer und Peter Resetarits als Zugpferden. Eine Imagekampagne des ORF ist geplant, Reformen im Programm - vor allem auf ORF eins - und eine offensive Online-Strategie sollen die Zufriedenheit der Gebührenzahler nachhaltig erhöhen. Voraussetzung: Die Politik dreht den Geldhahn nicht zu und hebt die Beschränkungen im Netz endlich auf.

Das offene Minister-Ohr für Private

Der ÖVP-Medienminister hat ein offenes Ohr für die Privaten, ob das die Zeitungen sind oder die Privatsender. Und die haben umgekehrt einen guten Draht zur ÖVP, das war schon immer so. Besonders Puls4-Chef Markus Breitenecker, der seine Vision von einem nationalen und europäischen Schulterschluss der Medienhäuser gegen die Internetgiganten Amazon, youTube und Facebook jetzt auch zu Papier gebracht hat. Rechtzeitig vor der Enquete erscheint das Buch "Change the Game", geschrieben von Breitenecker und Puls4-Infochefin Corinna Milborn.

Vorschläge aus dem Haus ProSieben.Sat1

Es geht darin auch um eine Neuaufstellung der öffentlich-rechtlichen Sender, konzipiert im Hause ProSieben.Sat1 - einem der größten privaten Medienkonzerne Deutschlands, zu dem Puls4 und ATV gehören. Und die Ausführungen zu den Öffentlich-Rechtlichen lesen sich wie ein Drehbuch für die Enquete, Stichwort ORF als "Schuhlöffel" für die Privaten. Der frühere Medienminister Thomas Drozda über Breitenecker: "Sie suchen den Kontakt zu den Regierenden, das ist legitim. Zu mir jetzt in der Opposition ist der Kontakt abgeflaut."

Der Kampf um die Pole-Position

Auch darum geht es bei der Medienenquete: Wer hat in dem Match um bessere Rahmenbedingungen die besten Plätze? Und das ist durchaus im Doppelsinn zu verstehen. Bis zuletzt wurde etwa ein Geheimnis um die Besetzung der Panels auf der Enquete gemacht, das sind die Diskussionsrunden zu den inhaltlichen Schwerpunkten. Und in diesen Panels müssen alle Player angemessen vertreten sein. Sebastian Loudon, der Österreich-Vertreter der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" und "Datum"-Herausgeber: "So etwas ist nie ganz einfach, da muss man nicht nur die thematisch richtigen Personen identifizieren, sondern man muss auch schauen, das die relevanten Medienunternehmen dort auch Sitz und Stimme haben."

ORF-Gegenspieler diskutieren Gebühren

Zum Beispiel das Panel "Finanzierung und Förderung", wo es auch um die für den ORF existenzielle Gebührenfrage geht. Auf dem Podium sitzen mit Eva Dichand von der Gratiszeitung "Heute" und Ernst Swoboda von "KroneHit", der auch Chef des Privatsenderverbandes VÖP ist, zwei prominente ORF-Gegenspieler. Aber niemand vom ORF. Immerhin darf die frühere Chefin der Schweizer SRG, Ingrid Deltenre, die Fahne der Öffentlich-Rechtlichen hochhalten.

Auftaktredner mit scharfer Zunge

Prominenter Auftaktredner am ersten Enquete-Tag ist der Vorstandschef des deutschen Axel-Springer-Verlags, Mathias Döpfner, auch er kein Freund der Öffentlich-Rechtlichen. Als Präsident des Verlegerverbandes hatte er Ende des vorigen Jahres ARD und ZDF in die Nähe von Kim Jong-un gerückt, als er deren Aktivitäten im Internet kritisierte: "Wir erleben im Netz eine mit öffentlichen Geldern finanzierte Flut von textbasierten Gratisangeboten. Das ist nichts anderes als eine gebührenfinanzierte digitale Staatspresse – das wäre doch eher was nach dem Geschmack von Nordkorea."

Die Enquete als "Potemkin’sche Show"

Die Medienenquete, eine geschickte Inszenierung als Potemkin'sche Show? Das hat ein Poster im Standard-Forum nicht ganz unpassend geschrieben. Ursprünglich hat man überlegt, zur Eröffnung die "Staatskünstler" Florian Scheuba, Robert Palfrader und Thomas Maurer auftreten zu lassen. Aber dann habe man sich für Inhalte und gegen Show entschieden, heißt es im Umfeld des Medienministers. Dabei hätten die "Staatskünstler" durchaus Expertise, wie sie beim Versuch einer Kandidatur um die ORF-Führung 2016 bewiesen haben.

Ihr Vorschlag: die 150 Millionen Euro aus der GIS-Gebühr, die sieben von neun Bundesländern einstreifen, zur zusätzlichen Produktion von österreichischen Filmen und Serien verwenden. Aber das ist natürlich reine Satire.

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