DYNAMOWIEN/Florian Jungwirth
Ö1 Schwerpunkt
Zehn Jahre Finanzcrash
Bereits zum zehnten Mal jährt sich heuer der sogenannte "schwarze Montag", der sowohl einen bedeutsamen Wendepunkt in der Geschichte der Wallstreet aber auch im gesamten globen Finanzwesen darstellte. Die Folgen der Krise von 2008 sind bis heute spürbar.
1. November 2018, 12:00
"Riechen Sie das Geld?", fragt der Guide der "Financial Crisis Tour" und zeigt auf die New York Stock Exchange, die weltweit größte Wertpapierbörse. "An der Wall Street konzentriert sich mehr Geld und Macht als irgendwo anders auf der Welt." Doch seit dem Finanzcrash 2008 hat sich im New Yorker Finanzviertel einiges verändert. Die Tour, die sich auf die Spuren der Finanzkrise begibt, führt zu Banken wie Merrill Lynch, die von der Bank of America übernommen wurde, oder der Federal Bank of New York, die unterirdisch die größten Goldreserven der Welt bunkert und wo im obersten Stock die Chefs der wichtigsten Wall-Street-Banken am Wochenende vor dem 15. September 2008 die Pleite von Lehman Brothers nicht verhinderten. Von Lehman ist noch das historische Gründungsgebäude zu bestaunen, die Bank selbst existiert seit dem "Schwarzen Montag" nicht mehr. Die Insolvenz der viertgrößten Investmentbank der Welt brachte das globale Finanzsystem ins Wanken. Ein Beben, dessen Schockwellen die weltweit größte Rezession seit der Großen Depression von 1929 auslöste.
Folgenschwere Investments
Das Finanzsystem erodierte, weil Banken und Versicherungen in hypothekenbesicherte Wertpapiere investierten, die sich auf die Kreditrückzahlung einkommensschwacher amerikanischer Haushalte stützten. Als die US-Immobilienblase platzte, explodierte das als Toxic Assets bekannte Gemisch aus CDOs (Collateralized Debt Obligations) und CDSs (Credit Default Swaps).
Collateralized Debt Obligations
Lehman war einer der größten Schöpfer dieser CDOs, der von Ratingagenturen als sicher eingestuften Verbriefungen. Die Ökonomin Elisabeth Springler vergleicht sie mit "Cocktails, die immer weiter gemixt werden und wo am Ende niemand mehr über die Zutaten so genau Bescheid weiß oder wissen will".
Der Zusammenbruch des Finanzwesens
Der 15. September 2008 war ein Wendepunkt in der Geschichte der Wall Street und im globalen Finanzkapitalismus, so der Kulturwissenschafter Joseph Vogl, der den Crash aus nächster Nähe in New York erlebte, als Professor an der Universität in Princeton. In seinem Buch The Ascendancy of Finance, das in der deutschen Ausgabe "Der Souveränitätseffekt" heißt, schreibt Vogl:
Auch wenn die letzte Finanzkrise bereits mit dem Einbruch des amerikanischen Hypotheken- und Immobilienmarktes 2006 und den Engpässen im Interbankenhandel seit 2007 begonnen hatte, konnte sie erst nach dem "Lehman Weekend" zum globalen Systemkollaps eskalieren.
Lehman als Krisenauslöser
Willi Hemetsberger war im Vorfeld der Krise im Vorstand der Bank Austria tätig. Für ihn war Lehman der "Kulminationspunkt und nicht der Anfang der Krise". Er erinnert sich an Vertrauenskrisen im Interbankenhandel bereits ein Jahr vor dem Crash. Und auch das Platzen der amerikanischen Immobilienblase war zum Greifen nah, woraufhin der damalige Notenbankchef, Alan Greenspan, im Sommer 2005 die niedrigen Leitzinsen drastisch erhöhte, erklärt Wilfried Stadler, Professor für Wirtschaftspolitik an der WU Wien. Doch das Volumen der hypothekenbesicherten Kreditrisiken war bereits exorbitant und ihre toxische Wirkung weltweit verstreut. Dennoch sieht er die Subprime-Krise nur als Zündschnur für die Finanzkrise. Den eigentlichen Sprengstoff ortet Stadler, der selbst viele Jahre im Vorstand einer Bank war, in den Defiziten der Bankenregulierung und dem zu gering vorgeschriebenen Eigenkapital.
Veranlagungsdruck
Willi Hemetsberger, der 2009, im Jahr nach dem Finanzcrash, seine eigene Investmentbank, Ithuba Capital, gegründet hat, nennt den globalen Veranlagungsdruck als Ursache für den Finanzcrash, den Überschuss an Kapital und Vermögen, das veranlagt werden wollte. "Und findige Geister haben die dafür entsprechenden Finanzprodukte gebaut." Ein gutes Geschäft, auch nach dem Crash. Nur geht es jetzt um die Entsorgung. Sein Unternehmen hat sich darauf spezialisiert – weniger elegant ausgedrückt beschreibt er es als "Müllabfuhr".
Folgen der Krise
Politisch wirken die Schockwellen, die vom Epizentrum Wall Street ausgingen, bis heute nach. Der Kollaps auf den Finanzmärkten zog schwere Fiskalkrisen nach sich und entwickelte sich zur notorischen Weltwirtschaftskrise mit rückläufigem Welthandel, schrumpfenden Bruttoinlandsprodukten, Rezession, hohen Staatsschulden und steigender Arbeitslosigkeit. So fasst es Joseph Vogl in seinem Buch Der Souveränitätseffekt zusammen. Schuldenbremsen und Austerität diktieren seither das Regierungshandeln.
Und auch wenn sich die Wirtschaft nicht zuletzt aufgrund der geldpolitischen Maßnahmen langsam wieder erholt, haben Niedrigzinspolitik und das Quantitative Easing Nebenwirkungen. Denn von den milliardenschweren Anleihen-Ankaufprogrammen profitieren Finanzindustrie und Vermögende. Die ökonomische Ungleichheit hat in den vergangenen zehn Jahren zugenommen.