Jacqueline Kennedy Onassis und Leonard Bernstein

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Leonard Bernstein

"Mass" - RSO Wien & Dennis Russell Davies

Mit Leonard Bernsteins Theaterstück eröffnet das ORF Radio-Symphonieorchester unter der Leitung seines ehemaligen Chefdirigenten am 28. Oktober den Abozyklus im Wiener Konzerthaus. Ö1 sendet das Konzert am 1. November um 19:30 Uhr.

Vor 100 Jahren wurde Leonard Bernstein geboren, halb so alt dürfte die Forderung sein, die Unterscheidung zwischen E- und U-Musik aufzuheben, zwischen einer "ernsten Musik" also und solcher, die der Unterhaltung dient. Dass diese Forderung noch heute mit großer Emphase erhoben wird, dient mehr der Unterhaltung, als dass sie so ganz ernst gemeint sein kann. Denn in Wahrheit ist die Mauer zwischen E und U seit den 1970er Jahren unbarmherzig geschleift worden.

Von Jacqueline Kennedy beauftragt

Bernstein, dem das Zitat zugeschrieben wird, er unterscheide nicht zwischen E und U, sondern nur zwischen gut und schlecht, stand jedenfalls für die Gleichberechtigung der beiden Sphären wie keiner vor ihm. Die nachdenkliche Serenade nach Platons "Symposion" auf der einen, die schmissige "West Side Story" auf der anderen Seite - damit ist Bernsteins künstlerisches Schaffen gut abgesteckt. Nur ein Mal hat er das Heterogene, das Nebeneinander unterschiedlicher Stile zum Konzept eines einzelnen Werks gemacht. Dieses Werk ist "Mass".

Leonard Bernstein bei der Uraufführung von "Mass", 1971

Leonard Bernstein bei der Uraufführung von "Mass", 1971

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Den Auftrag dazu erhielt er von Jacqueline Kennedy, der ehemaligen First Lady der USA, zur Eröffnung des John F. Kennedy Center for the Performing Arts in Washington, in dem sich ein Konzertsaal für knapp 2.500 Besucher/innen, ein Opernhaus, mehrere Theatersäle und ein Jazzclub befinden. Am 8. September 1971 erfolgte die Uraufführung unter großer Anteilnahme der Washingtoner Elite. Das Publikum jubelte, die Presse mäkelte: "Ein pseudoreligiöser Versuch, die Messe neu zu denken, der im Grunde billig und vulgär ist."

Dualität von Klassik und Pop

Ein Missverständnis. Denn Bernstein hatte keineswegs den lateinischen Messetext neu deuten wollen. "Mass" ist vielmehr ein Theaterstück. Es handelt von einem gläubigen jungen Mann, dem Celebrant, der von den Zweifeln der "Straße" allmählich erdrückt wird. Wie hält sich der Glaube gegen Rituale und Formalismen am Leben? Bernsteins Credo: "Jeder versucht, das Heilige wiederzufinden, das ihn emporheben könnte, das Wesentliche, das uns erst zu Menschen macht und zu den Ursprüngen und grundlegenden Werten des Lebens zurückfinden lässt."

Den Grundkonflikt seines Theaterstücks legte Bernstein bereits in der Besetzung an. Der rituelle Text wird von den "klassischen" Ensembles, dem Symphonieorchester und dem großen gemischten Chor, interpretiert, die Zweifel von der Straße sind einer Rockband und einem Street Choir, außerdem einer Handvoll Blues- und Rocksänger anvertraut. Die Dualität von Klassik und Pop ist die DNA der "Mass", sie besticht weniger durch Subtilität als durch Effizienz. Das Anliegen der Komposition ist sinnlich unmittelbar verständlich.

Höhepunkt des Bernstein-Jahres

Nachdem das ORF Radio-Symphonieorchester Wien zum Ende der letzten Spielzeit im Musikverein sowie bei einem Gastauftritt beim Carinthischen Sommer zentrale Werke von Leonard Bernstein aufgeführt hat, stellt "Mass" im Wiener Konzerthaus nun den Höhepunkt des Bernstein-Jahres 2018 dar. Mit der Wiener Singakademie, der Opernschule der Wiener Staatsoper und der Company of Music stehen herausragende Chöre zur Verfügung - die vielseitige Company of Music von Johannes Hiemetsberger hat die "Mass" sogar schon auf CD eingespielt.

Den Celebrant verkörpert Vojtěch Dyk, in seiner Heimat Tschechien als Wanderer zwischen E- und U-Musik ein Kultsänger und -schauspieler. Am Dirigentenpult freut sich das RSO Wien auf die Rückkehr des ehemaligen Chefdirigenten Dennis Russell Davies, der Bernsteins zwischen den Stilen flanierendem Meisterwerk seit Langem verfallen ist. Eine unterhaltsame Aufführung, die in jeder Hinsicht ernst zu nehmen ist.

Text: Christoph Becher, Intendant des RSO Wien - (Dieser Artikel enstammt der Oktober-Ausgabe des Ö1 Magazins "gehört").