Blick auf Istanbul

AP/EMRAH GUREL

Kunstmesse

Istanbuls Kunstwunder

Die Kunstmesse Contemporary Istanbul zeigt, wie die Stimmung im Land ist und was Kunst, Gesellschaft und Politik miteinander zu tun haben.

Mittagsjournal | 25 09 2018

Werner Bloch

Seit 13 Jahren gibt es am Bosporus die Kunstmesse Contemporary Istanbul. Eine Messe, die ziemlich bescheiden begonnen hat, aber die es in sich hat: Sie spiegelt wie kaum eine andere Kunstinstitution die Krisen der Türkei wider. Bombenanschläge in Istanbul, der Kurdenkonflikt, der Putsch vom 15. Juli 2016 gegen angebliche Anhänger der Güllen-Bewegung, die Verurteilung Hunderte Andersdenkender durch das Regime Erdogan. Damit ist die Kunstmesse erstaunlich gut fertig geworden. Im Gegenteil, sie ist noch gewachsen. In diesem Jahr versammelten sich 83 Galerien aus 22 Ländern, darunter sehr viele türkische Galerien und Künstler.

"Wir sind Opfertiere.
Geschlachtet wird die Demokratie."
Sükran Moral

Kunst? Die müsse immer illegal sein, sonst habe sie keinen Wert. Das sagt Sükran Moral, die radikalste Künstlerin der Türkei. Sie protestiert mit vollem Körpereinsatz gegen die konservative Politik ihres Landes. Vor zwei Jahren schlug sie auf der Kunstmesse Contemporary Istanbul sieben Rinderherzen an die Wände der White Cubes - aus Protest gegen die Verhaftungen und Repressionen der Regierung. Diesmal bietet sie Kunst aus dem Schlachthaus an.

Kunst nach dem Prinzip Hit and Run

"Ich habe eine Theorie. Ich mache Kunst nach dem Prinzip Hit and Run, Zuschlagen und Abhauen, wie die Guerilla", sagt Sükran Moral. "Ich habe das Töten der Tiere in einem Schlachthaus beobachtet, wie sie erst auf eine Waage geführt werden. Dort spüren sie schon die Bedrohung und beginnen vor Angst zu wimmern. Es heißt, das islamische Opferfest sei religiös begründet. Aber was ist daran religiös, wenn die Tiere leiden? Das Blut, der Gestank ... Für mich ist genau das die Türkei. Wir sind Opfertiere. Geschlachtet wird die Demokratie. Dabei dürften wir uns nicht zur Schlachtbank führen lassen, sondern müssten handeln."

Mehr als eine Spaßveranstaltung

Insgesamt ist die Contemporary Istanbul ein großes Fest, ein gesellschaftliches Ereignis. Elegant gekleidete Menschen trinken Sekt, der High-Heels-Faktor ist enorm. Doch die CI, wie sie auch genannt wird, ist mehr als eine Spaßveranstaltung. Sie hat es tatsächlich zu internationalem Renommee gebracht. In diesem Jahr ist sogar der Mehmet Ersoy gekommen, der Minister für Tourismus und Kultur. Ersoy besitzt eine Airline und eine Hotelkette. Von Gegenwartskunst versteht er wenig, das gibt er ganz offen zu. Erdogan hat ihn beauftragt, mehr Touristen ins Land zu holen. Und der hünenhafte Kulturminister will die Kultur als Vehikel einsetzen, um mehr Besucher anzulocken.

110.000 Moscheen und nicht ein einziges Museum.

Einer der Stammgäste auf der Messe ist Bedri Baykam, ein Schlachtross der türkischen Linken. In seiner Galerie sieht man Agitprop-Plakate und eine Sonderausstellung für Deniz Gezmis, den türkischen Che Guevara. Der wurde von der türkischen Regierung erhängt. "Unser Staat hat in den letzten Jahren 110.000 Moscheen gebaut und nicht ein einziges Museum für moderne oder Gegenwartskunst", so Baykam. "Wir haben nichts gegen Moscheen. Aber die Regierung hilft den türkischen Künstlern und Denkern nicht, sie bremst sie und errichtet fast Barrikaden gegen uns. Wir sind immer die Ausgestoßenen, die vernachlässigte Intelligentsia, wir sind wie immer die Bösen."

Bedri Baykam ist 2011 von einem islamistischen Täter angegriffen worden. Der rammte ihm ein Messer in den Bauch. Baykam überlebte nur durch eine Notoperation. Seine Hoffnungen hat Bedri Baykam trotz aller Schwierigkeiten nicht aufgegeben. Er will im Oktober mit Künstlern, Schriftstellern und Theaterleuten ein neues Manifest verabschieden, das eine demokratische Türkei mit noch mehr Nachdruck einfordert.

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