KOCH MEDIA
Gamerin Anita Sarkeesian
Kultur gegen Hass
Anita Sarkeesian ist eine kanadisch-amerikanische Medienkritikerin. International bekannt geworden ist sie dadurch, dass sie im Netz wüst beschimpft worden ist, nachdem sie vor fünf Jahren auf Sexismus in Videospielen aufmerksam gemacht hat. Sarkeesian war auf Einladung des Renner-Instituts in Wien. Nadja Hahn hat für #doublecheck mit ihr darüber gesprochen, was man gegen Sexismus und Hass im Netz tun könnte. Sie hat eine gute und eine schlechte Nachricht.
7. Jänner 2019, 02:00
Die gute Nachricht: in der Spieleindustrie hat sich einiges verbessert, sagt Anita Sarkeesian. Spieleentwickler und die Branchenpresse würden zumindest über das Thema reden, und zuletzt seien auch mehr Spiele mit Frauen in den Hauptrollen auf den Markt gekommen. "Das Problem ist nicht gelöst, aber immerhin findet die Unterhaltung darüber jetzt statt, das war früher nicht der Fall."
Anita Sarkeesian im Interview mit Nadja Hahn
Einen wirtschaftlichen Nachteil sieht Sarkeesian für die Spieleindustrie nicht. Videospiele mit Frauen in Hauptrollen würden sich gut verkaufen, sagt sie. Allerdings verändern sich mit Frauenanteil auch die Inhalte der Geschichten, weil es andere Problemlösungsstrategien gibt. Das sei aufwändig und für viele Spieleentwickler funktioniere die alte Formel "Zombies und Außerirdische jagen" ja prächtig. Neue Frauenrollen in Videospielen müssen einem schon "ein echtes Anliegen sein".
Machtfrage
Nach der Kritik hat die Regierung ihren Vorschlag abgeändert und gefordert, dass die Plattformen Identitäten herausgeben müssen. Aber auch das könne problematisch sein, sagt Sarkeesian. Denn es sei eine Machtfrage: "Wenn zum Beispiel jemand auf Twitter aggressiv einen Transvestiten beschimpft und diese Person dann aggressiv zurückschimpft. Was passiert, wenn der erste Angreifer die wahre Identität des anderen bekommt? Wer entscheidet, wie die Identitäten preisgegeben werden? Das macht mir Angst."
THUNDER LOTUS GAMES
Das Trauma
Ihre eigene Erfahrung mit Beschimpfungen im Netz sei traumatisch und habe ihr persönliches und berufliches Leben grundsätzlich verändert. "Ich habe lange nicht erkannt, wie schlimm das alles wirklich ist. Man sagt, das war ja nur im Netz. Aber es verursacht Entfremdung, Depressionen, es belastet Beziehungen, und ich bin ständig alarmiert. Ich denke immer darüber nach, wo ich sitze, wohin ich gehe, und ob mich jemand erkennt und feindselig sein könnte."
Es geht um Kultur
Für Sarkeesian geht es um einen Kulturwandel: "Wir müssen in der Öffentlichkeit viel mehr über das Thema reden, als Aktivisten, in den Medien, bis wir eine neue Kultur haben und die Menschen verstehen lernen, was Belästigung wirklich ist. Eine erstaunliche Anzahl an Personen versteht gar nicht, dass das, was sie sagen, Belästigung ist."
Anita Sarkeesian im #doublecheck-Interview
Die schlechte Nachricht
Soziale Netzwerke seien von "weißen jungen Männern gegründet worden, die nie darüber nachgedacht haben, wie die Netzwerke missbraucht werden könnten". Jetzt müssten sie nachdenken - darüber, wie man Postings schneller löscht und die Nutzungsbedingungen verschärft. "Aber wir werden immer den Tätern hinterherjagen", sagt Sarkeesian.
ORF/NADJA HAHN
Anita Sarkeesian im Ö1 Studio.
"Je länger ich mich damit beschäftige und soziale Medien berate, desto mehr komme ich zu der Einsicht, dass wir in den bestehenden Netzwerken nicht viel tun können. Mich interessiert, ob die nächsten Plattformen, die entwickelt werden, von Grund auf anders programmiert werden." Wie, das kann sich Sarkeesian selbst noch nicht vorstellen.
Klarnamen sind keine Lösung
Die österreichische ÖVP-FPÖ-Regierung hat auf ihrem vor kurzem abgehaltenen einstündigen Gipfel gegen Hass im Netz vorgeschlagen, dass man nur noch unter Klarnamen posten darf. Das ist von vielen Netzexperten scharf kritisiert worden, auch Sarkeesian hält davon nichts: "Das ist eine schreckliche Idee. Die Leute schimpfen im Netz auch unter ihren echten Namen. Es gibt auch viele gute Gründe, warum manche Menschen im Netz Pseudonyme brauchen. Die Klarnamenpflicht wird den Hass nicht stoppen. Das zu behaupten, ist unehrlich. Man sollte hier nicht einfach eine faule Ausrede suchen."
Anita Sarkeesian im Interview
Gesetze sind nicht alles
Gesetze könnten nur begrenzt helfen, meint Sarkeesian. Denn Mord und Vergewaltigung seien ja nur die Spitze Eisbergs. "Wenn du zur Polizei gehst, sagen die sinngemäß: Kommen Sie wieder, wenn sie umgebracht werden."
Und was am häufigsten stresst, sei nicht einmal illegal. "Das, was viele so ermüdet, ist, dass Lügen und Verleumdungen immer und immer wieder wiederholt werden. Illegal ist das nicht, aber es sollte nicht erlaubt sein. Es geht nicht nur um die Geschichten, die Schlagzeilen machen."