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"Dialog statt Hass"
Darüber reden, wo der Hass herkommt
Die Zahl der Anzeigen wegen Verhetzung im Internet steigt rasant. Seit einem Jahr gibt es für Hassposter die Möglichkeit, am Projekt "Dialog statt Hass" vom Verein Neustart teilzunehmen. Dort steht unter anderem das Erkennen von Falschnachrichten auf dem Programm – anstelle einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren.
7. Jänner 2019, 02:00
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doublecheck 07 12 2018
Herabwürdigende Kommentare und Postings im Internet sind allgegenwärtig. Nicht alles davon ist strafbar. Wird allerdings gegen Menschen etwa aufgrund ihrer Religion, Herkunft oder ihres Geschlechts agitiert, drohen nach dem sogenannten Verhetzungsparagraphen bis zu drei Jahre Haft.
Verhetzungsschuldsprüche verdoppelt
Verurteilungen in diesem Bereich haben sich in den vergangenen Jahren verdoppelt. Ein Großteil der Schuldsprüche geht auf Beschimpfungen in sozialen Netzwerken zurück. Während auf politischer Ebene nach Lösungen im Kampf gegen Hass im Netz gesucht wird, ist die Justiz angesichts mangelnder Ressourcen überfordert. Um den Hass im Netz zu bekämpfen, sollte sich die Gesellschaft auch nicht auf Behörden verlassen, sondern Zivilcourage im Netz zeigen und verachtende Hetz-Kommentare melden, appelliert Andreas Zembaty vom Verein "Neustart".
"Neustart" bietet eine Alternative zu Gerichtsverhandlung und Haftstrafe. Bei dem Projekt "Dialog statt Hetze" sollen Hassposter in mehreren Modulen, die teils einzeln und teils in Gruppen absolviert werden, sechs Monate lernen, was an ihren beleidigenden Aussagen im Internet falsch war und wie sie ihre Meinung äußern können, ohne andere zu verletzen.
Andreas Zembaty spricht im Interview mit Rosanna Atzara darüber, was Hassposter bei "Neustart" lernen.
ORF/JOSEPH SCHIMMER
Dialog-Programm in vier Bundesländern
Derzeit wird das Programm in Wien, der Steiermark, Oberösterreich und Tirol angeboten. Bei "Dialog statt Hetze" landen etwa Fälle wie jener des freiheitlichen oberösterreichischen Kommunalpolitikers Bruno Weber. Er hatte auf Facebook ein homophobes und rassistisches Posting verfasst. Ein ÖBB-Werbesujet, auf dem zwei Männer mit einem Baby zu sehen sind, kommentierte Weber mit den Worten "zwei vermeintliche Schwuchteln mit Baby, davon einer ein Neger". Die Richterin in Linz hat dem unbescholtenen Mann nun eine Möglichkeit gegeben, das Angebot von "Dialog statt Hetze" in Anspruch zu nehmen.
Die Perspektive der Hass-Opfer
"Neustart" werde Weber wie jeden anderen Klienten auch behandeln, sagt Andreas Zembaty, Sprecher des Vereins. Auch der Politiker werde wohl lernen müssen, dass freie Meinungsäußerung kein Freibrief dafür sei, andere herabwürdigend zu attackieren: "Es war für uns sehr überraschend, dass die meisten den Eindruck gehabt haben: Das ist ja gar nicht strafbar, das gehört zur freien Meinungsäußerung in Österreich." Wobei sich "Neustart" nicht als Meinungspolizei verstehe, betont Zembaty, es gehe vielmehr um Einsicht - etwa indem die Perspektive der Opfer eingenommen wird.
Ohne drohenden Zeigefinger
Die Klienten sollen am Ende verstehen, was Hass im Netz mit den Betroffenen macht. So soll Mitgefühl für die Opfer erlangt werden, sagt Zembaty. Aber ohne drohenden Zeigefinger, sondern indem über eigene Diskriminierungserfahrungen gesprochen wird. "Wenn sie die Möglichkeit haben, darüber zu reden, wo sie selber attackiert und diskriminiert wurden und sich ungerecht behandelt gefühlt haben, dann schaffen wir von diesem Erleben des Täters oder der Täterin eine Brücke zu dem, was sie durch ihre Tat angerichtet haben", so Zembaty.
Der Aha-Effekt in Sachen Facebook
"Neustart" stellt den Kontakt zu indirekt Betroffenen her, Flüchtlingszentren oder Vorträge über Soziale Medien der Internetexpertin und Autorin Ingrid Brodnig werden besucht. Denn die Arbeit mit Hasspostern heißt oft zu helfen, aus der eigenen kleinen Facebook-Welt auszubrechen, erzählt Zembaty: "Es stellt sich heraus, dass sie Facebook in einer Blase benutzt haben und unglaublich vielen Falschnachrichten aufgesessen sind, die ihre Ideologie bestätigt haben. Das ist ein echter Aha-Effekt." Daher sei Medienkompetenz ein wichtiger Teil des Projekts.
Es geht immer gegen Flüchtlinge
Bisher haben 60 Personen bei "Dialog statt Hass" mitgemacht, das sind bei weitem nicht alle anhängigen Fälle wegen Verhetzung im Internet. Überwiegend waren es Frauen und ältere Personen, die ihren Hass im Netz abgeladen haben und dann über Staatsanwaltschaft oder Richter den Weg zu "Neustart" gefunden haben, sagt Andreas Zembaty. Auffällig sei, dass es in den Beleidigungen praktisch "immer gegen Flüchtlinge" gehe.
"Strafen allein helfen nicht"
Dass Hassposter zu leicht wegkommen, dass die Teilnahme an dem Projekt also ein einfacher Ausweg sei, glaubt Zembaty nicht. "Die erste Reaktion unserer Politik, um den Boulevard ruhigzustellen, sind härtere Strafen", sagt Zembaty. Der Verein Neustart vertrete aber seit Jahren die Position, dass Strafen allein weder Gesellschaft noch Opfern weiterhelfen. "Die bloße Inhaftierung verändert nicht", sagt Zembaty. Im Gegenteil: es komme zur Täter-Opfer-Umkehr, der bereits vorhandene Hass werde bestärkt. Auch Gewaltopfer sei mit bloßen Strafen nicht geholfen. "Sie wollen wahrgenommen werden und sichergehen können, dass das nicht wieder passiert."
Durchschummeln funktioniert nicht
Außerdem müsse das Projekt auch erfolgreich absolviert werden. Erst nach einem Bericht, den die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter von "Neustart" nach sechs Monaten schreiben, entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob trotz der Teilnahme dennoch ein Verfahren eingeleitet wird oder nicht.
Für "Neustart" ist das Projekt "Dialog statt Hass" ein Erfolg. "Die Betroffenen melden uns nach einem halben Jahr Auseinandersetzung und wöchentlichen Terminen zurück, dass sie vieles gelernt haben und so nie wieder machen würden." Auch bei den zuweisenden Richtern und Staatsanwälten komme es gut an, sagt Zembaty, der hofft, dass das Projekt bald bundesweit ausgedehnt werden kann.