Ruinen auf einer Insel in Micronesia

AP/NICOLE EVATT

Literatur

"Das Volk der Bäume" von Hanya Yanagihara

Mit "Ein wenig Leben" sorgte die US-amerikanische Schriftstellerin Hanya Yanagihara 2017 auch im deutschsprachigen Raum für Begeisterung und Diskussionen. Nun wird die deutsche Übersetzung ihres 2013 erschienenen Debütromans "Das Volk der Bäume" nachgereicht, der ebenfalls alles andere als spurlos an seiner Leserschaft vorbeigeht.

Wenn ein großer Mann schreckliche Dinge tut, ist er dann noch ein großer Mann? Mit dieser Frage eröffnet Hanya Yanagihara ihren Debütroman, und fügt, unausgesprochen, gleich noch eine zweite hinzu: Muss der Held einer Geschichte auch der Gute sein?

Mittagsjournal | 28 01 2019

Judith Hoffmann

Der Un-Sympathie-Träger

Auf den folgenden mehr als 400 Seiten wird sie diese Fragen in jede Richtung bis zur Schmerzgrenze ausreizen, aber dennoch nie klar beantworten, und das ist nur eine der Stärken dieses literarischen Debüts rund um Macht und Machtmissbrauch.

Es handelt sich um die Memoiren des fiktiven, aber an eine reale Vorlage angelehnten Virologen und Nobelpreisträgers Norton Perina, der in den 1950er Jahren bei einem abgeschiedenen Stamm auf einer mikronesischen Insel das "Selene"-Syndrom entdeckt - eine Krankheit, die dem Körper ewiges jugendliches Leben, dem Geist allerdings zunehmende Verrücktheit bringt.

Buchcover, Mann blickt in die Kamera

HANSER VERLAG

"Das Volk der Bäume" von Hanya Yanagihara ist bei Hanser in der Übersetzung von Stephan Kleiner erschienen.

Zwischen Nobelpreis und Haftstrafe

Perina, selbst zunehmend verrückt ob seiner bahnbrechenden Entdeckung, beginnt zunächst an Mäusen, später auch an den Betroffenen, den sogenannten Träumern, im Labor zu forschen, und zugleich zahlreiche verwaiste, verwahrloste Kinder dieser Insel in seinem Haus aufzunehmen.

Er wird für seine Forschungen den Nobelpreis entgegennehmen und Jahre später eine zweijährige Haftstrafe wegen Missbrauchs an mehreren der adoptierten Kinder verbüßen. Im Gefängnis schreibt er seine Lebenserinnerungen nieder, herausgegeben von seinem ebenfalls fiktiven Freund Ronald Kubodera, dem einzigen, der in dieser Krisenzeit zu ihm hält und an seine Unschuld glaubt, wie er im Vorwort beteuert.

Sprache als Zugpferd und Hindernis zugleich

Mit diesen beiden Stimmen arbeitet Yanagihara: Hier die Erzählung des Wissenschaftlers, der von den ersten Seiten weg, beginnend mit den frühen Kindheitserinnerungen an die Eltern, eine Arroganz und Selbstgefälligkeit an den Tag legt, die schwer erträglich ist und dennoch eine ungeahnte Neugier und Faszination weckt; dort die Kommentare und Fußnoten des Herausgebers, der Namen und Daten ergänzt, seinem Freund mit Quellen zu Hilfe eilt oder ihm gegebenenfalls auch widerspricht, nicht minder unnahbar, wenn auch in einem völlig anderen Duktus.

Wie man einen Wissenschaftler literarisch seziert

Zwischen diesen ausgefeilten sprachlichen Polen dringt eine weitere spannende Facette des Romans durch: Yanagihara, selbst als Kind in einem Umfeld renommierter Wissenschaftler zwischen Reagenzgläsern und Labormäusen aufgewachsen, kehrt darin zu den vertrauten Orten und Denkweisen ihrer Kindheit zurück, wie sie sagt: in die Labors und Forschungszentren, die eine eigene Welt für sich darstellen.

Verblüffend einprägsam seziert Yanagihara in "Das Volk der Bäume" Herz und Seele des Mediziners und Forschers, der keinen Hehl daraus macht, dass ihn die Krankheit stets weit mehr interessiert als der Patient, und der in blinder Besessenheit von seiner Forschung viel zu spät das Ausmaß der Zerstörung erkennt, das er dem Volk und seinem paradiesischen Lebensraum angetan hat.

Gut oder böse? Immer beides zugleich

Anhand der eingangs gestellten Fragen manövriert Hanya Yanagihara ihre Leser entlang eines schmalen Grates zwischen Hochachtung vor den Leistungen der Wissenschaft und scharfer Kritik an imperialistischem, kolonialistischem Machtgehabe, ohne je auf die eine oder andere Seite abzustürzen.

Wer klare Verhältnisse zwischen Schwarz und Weiß, Gut und Böse bevorzugt, wird an diesem Roman zu nagen haben. Und dennoch: Es lohnt sich auf vielerlei Ebenen, den Schilderungen dieses zwiespältigen Anti-Helden zu folgen.

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Hanya Yanagihara, "Das Volk der Bäume", Roman, übersetzt von Stephan Kleiner, Hanser
Originaltitel: "The People in the Trees"

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