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Literatur
"Gotteskind" - Geschichte einer jungen Dschihadistin
Das Literaturmagazin "Granta" hat John Wray unter die besten amerikanischen Nachwuchsschriftsteller gewählt, 2017 gewann der Sohn eines amerikanischen Vaters und einer österreichischen Mutter beim Bachmann-Wettbewerb den Deutschlandfunkpreis. Sein neuer Roman "Gotteskind" erzählt von einer jungen Amerikanerin, die sich den Taliban anschließt.
1. März 2019, 02:00
Mittagsjournal | 29 01 2019
Wolfgang Popp
Kulturjournal | 29 01 2019 | John Wray im Gespräch
Wolfgang Popp
Eigentlich wollte John Wray die Geschichte von John Walker Lindh recherchieren, der als zwanzigjähriger Dschihadist in Afghanistan kämpfte. 2001 wurde Lindh gefangengenommen, von den Medien der "Amerikanische Taliban" getauft, und büßt noch immer seine zwanzigjährige Haftstrafe ab. John Wray: "Lindh darf abgehsehen von seiner Familie und seinem Rechtsanwalt mit niemandem Kontakt haben. Die amerikanische Regierung ist nicht daran interessiert, dass er seine Geschichte selbst erzählt."
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John Wray
Die geheimnisvolle Unbekannte
Wray hatte 2015 als Journalist eine Recherchereise nach Afghanistan unternommen und dort von einer jungen Frau gehört, die an der Seite Lindhs gekämpft haben soll. Als es ihm nicht gelang, mehr über die Frau in Erfahrung zu bringen, roch der Romancier in ihm Lunte. Er wollte ihre Geschichte als Entwicklungsroman erzählen, und so den schleichenden Prozess der Radikalisierung greifbar machen.
Ein Unterfangen, das einige Falltüren bereithielt. John Wray: "Es wäre oft sehr leicht gewesen, ganz sanft ins Melodramatische zu kippen. Davor hatte ich aber große Angst, denn es gibt schon so viele derartige Filme und Bücher, die keineswegs zu einem besseren Verständnis des fundamentalistischen Islam geführt haben."
Koranstudien
Protagonistin von John Wrays Roman "Gotteskind" ist die 18-jährige Aden. Sie lebt in Kalifornien, entstammt einer Mittelstandsfamilie, durch den Vater, einen Professor für Islamwissenschaften hat sie den Koran kennen gelernt und ist zur gläubigen Muslimin geworden. Bewaffneter Kampf ist anfangs kein Thema. Stattdessen zieht sie sich in die völlig friedliche Atmosphäre einer pakistanischen Koranschule zurück, und widmet sich dort ganz dem Studium.
John Wray: "Im Unterschied zu Aden habe ich den Koran nicht auswendig gelernt, gewisse Passagen allerdings schon. Und es war für mich wirklich eine Überraschung, wie sehr mich dieser Text entzückt hat."
In den Fängen der Unterhaltungsindustrie
Der Mullah predigt Frieden, die Schule wird aber von Dschihadisten infiltriert, die versuchen, Kämpfer zu rekrutieren, und denen schließt sich Aden schließlich an. Ein Stoff, eigentlich wie gemacht, für einen spannungsgeladenen und wenig differenzierenden Pageturner oder actiongeladenes Popcorn-Kino. John Wray: "Die Unterhaltungsindustrie beteiligt sich ständig und ohne mit der Wimper zu zucken an dieser verzerrenden Darstellung der islamistischen Welt - um Geld zu verdienen oder der Ignoranz der Massen zu schmeicheln. Und ich wollte auf keinen Fall Teil dieses Geschäftes sein."
John Wray hat die Bombendetonationen und Kalashnikow-Salven leise gehalten und dafür die feinen Zwischentöne von Adens Entwicklung lauter gedreht. Und das macht "Gotteskind" zu einem Roman, der aus den richtigen Gründen atemberaubend ist.
Service
John Wray, "Gotteskind", Roman, aus dem Englischen von Bernhard Robben, Rowohlt. Originaltitel: "Godsend"
Gestaltung
- Wolfgang Popp