Bilderbuchpass

BILDERBUCH

Musik

Bilderbuch - Vernissage My Heart

Vor sechs Jahren flitzten sie im knallgelben Lamborghini mit "Maschin" an die Spitze der Charts und sind seitdem auch bei den Kritikern im Feuilleton Stammgäste - die Wiener Pop-Freigeister von Bilderbuch. Erst im vergangenen November veröffentlichte die Band mit "Mea Culpa" ein eher introvertiertes Lounge-Album. Diesen Freitag erscheint das dazu gehörige Zwillingswerk "Vernissage My Heart". Eineiige Zwillinge sind sie die beiden Alben aber keinesfalls. "Vernissage My Heart" ist expressionistisch und trotzig und vor allem einem Gedanken verpflichtet: der Freiheit, den eigenen Weg zu gehen.

Mächtig, schwer und metallen öffnen Bilderbuch die Türen zu ihrer Vernissage. "Kids im Park" nennt sich der musikalische Empfang, mit dem wohl die wenigsten gerechnet hätten. Doch dieser Akzent hat Programm, denn die acht neuen Songs sind Ausdruck hemmungsloser Experimentierfreude.

Bilderbuch wandeln lustvoll ganz bewusst neben der ihnen ebenso vertrauten Überholspur in Richtung Hitsingle. "Das Verlangen, diese harten Gitarren, dieses träge Tempo und diese Energie genauso hinzusetzen, war so stark. Wir haben auch gewusst, wahrscheinlich geht das fett in den Arsch, aber das war uns so egal", sagt Sänger Maurice Ernst über "Kids im Park".

Bilderbuch

HENDRICK SCHNEIDER

Freedom 19

Erfolg nicht als Aufforderung zum Abpausen der etablierten Schablone zu verstehen, sondern als Gewinn an Freiheit, die künstlerisch ausladend genutzt werden will, ist eine seltene Gabe. Vor allem im Pop. Dazu braucht es Mut, Abenteuerlust und Selbstvertrauen. All das haben Bilderbuch reichlich und auf "Vernissage My Heart" stellen sie dieses Selbstverständnis in die Auslage. "Es ist notwendig, sich diese Freiheiten auch zu nehmen – nur dann kannst du dich meiner Meinung nach weiterentwickeln", meint Maurice Ernst.

Soul, Funk, Rock, Hip Hop - musikalisch fließt hier alles ineinander, auch wenn die plakative Pop-Geste weitgehend fehlt - sie würde in diesem Aquarell wie ein banaler Klecks wirken. "Bei diesem Album haben wir es zum ersten Mal geschafft, dass es ein bisschen geistiger wird", sagt Maurice Ernst. "Die eigentlichen Hauptdarsteller sind Gefühle oder etwas abstraktere Dinge." Wie gewohnt ist auch die Bilderbuch-Kollektion 2019 ein harmonisches Ensemble aus Wort, Bild und vor allem Ton. Nicht nur der Look der Band ist neu, auch die Texte von Ernst sind ruhiger und reflektierter geworden.

"Nächstenliebe hat mich irgendwie gekickt."

Hier geht es nicht mehr um halbstarke Posen. Hier geht es um eine emotionale Durchdringung des Zeitgeists. Und nicht nur in der Musik um das Überwinden allzu enger Grenzen, um Liebe und das Miteinander. "Auch wenn es ein bisschen komisch klingt – so etwas wie Nächstenliebe hat mich irgendwie gekickt, und das als Klosterschüler", lacht Ernst. "Man wird 30 und plötzlich singt man über Nächstenliebe, aber eh auf cool."

Europa - Eine der größten Ideen nicht einfach gehenlassen

Wie eine Lotion tröpfeln Bilderbuch diese weltanschauliche Essenz ins musikalisch verspielte Schaumbad, beschwören die Kraft von Gemeinschaft und im Lied "Europa 22" ein Europa ohne Barrieren - eine der "größten Ideen unserer Zeit", wie Maurice Ernst sagt. "Ich will dieses Erbe nicht herschenken. Ich merke selbst, welche Vorteile das alles für mich als lebender Mensch in dieser Gesellschaft hat. Ich kann das alles einfach nicht ohne Kommentar, vor allem in der Kunst, gehen lassen." Mittlerweile kann man sich auf der Bilderbuch-Website einen fiktiven europäischen Reisepass kreieren.

Kein süßer Snack

Produziert wurde "Vernissage My Heart" wie auch schon der Vorgänger "Mea Culpa" von Marco Kleebauer von der Band Leyya. Auch im Studio also frischer Wind. Bilderbuchs sechstes Album ist jedenfalls kein süßer Snack mit garantiertem Zucker-High, sondern eine klug arrangiertes Sterne-Menü mit raffinierten Nuancen. Nicht die ganz große, epische Pop-Platte - vielleicht aber eine Lockerungsübung auf dem Weg dorthin.

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